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Archiv-Artikel

Die seltsame Welt der Sexsymbole

Morgen ist die erste Anhörung im Fall Kobe Bryant, des der Vergewaltigungbeschuldigten US-Sportstars. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Spitzensport, Sex und Gewaltbereitschaft? Manche Sportsoziologen glauben: ja

von JUTTA HEESS

Kobe Bryant war ein Basketballstar, wie ihn sich ein Vermarkter perfekter nicht hätte entwerfen können. Mal abgesehen davon, dass er Afroamerikaner ist. Großartig auf dem Court, sympathisch vor den Fernsehkameras, intelligent, hübsche Frau, süßes Kind: so strebte er nach der Nachfolge von Michael Jordan, dem erfolgreichsten und weltweit beliebtesten Basketballer, der je für die National Basketball Association (NBA) warf und warb. Zum eigenen Wohle, dem der Los Angeles Lakers, der Liga und aller angeschlossenen Sponsoren.

Doch am morgigen Donnerstag muss Bryant (25) sich in Eagle, im US-Bundesstaat Colorado, vor Gericht verantworten – wegen Vergewaltigungsverdachts. Es handelt sich um eine Anhörung, während der die Anklage und seine Rechte vorgelesen werden. Angezeigt wurde er von einer 19-jährigen Hotelangestellten, die behauptet, im Juni von Bryant sexuell missbraucht worden zu sein. Zwei Wochen lang versuchte der Sportler, die Anzeige herunterzuspielen, schließlich gab er zu, dass er Sex mit der Frau hatte, der Beischlaf aber in beidseitigem Einverständnis stattgefunden habe. So steht Aussage gegen Aussage.

Tyson und Simpson

Es ist nicht das erste Mal, dass ein sehr berühmter US-Sportler vor Gericht Aufsehen erregt. 1992 wurde der Boxer Mike Tyson zu drei Jahren Haft verurteilt. Angelastetes Verbrechen: Vergewaltigung. Zwei Jahre später wurde der Footballspieler O. J. Simpson wegen Mordes an seiner Exfrau und ihrem Freund festgenommen, ein Jahr und ein Medienspektakel später jedoch wieder freigesprochen. Zwar nicht juristisch, aber mündlich belastet wurde unlängst erst der neue kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Der soll zu seiner Zeit als Bodybuilder nicht nur eine Frau sexuell belästigt haben.

Sicher reichen einige prominente Beispiele nicht aus, um Leistungssportlern grundsätzlich eine verstärkte Aggressivität nachzusagen – zumal im Fall von Bryant die Schuld nicht bewiesen ist. Auch ist Gewalt bekanntlich ein Problem der gesamten amerikanischen Gesellschaft. Dennoch scheinen einige Statistiken einen Zusammenhang von Sport und Gewalt zu belegen: Eine amerikanische Drei-Jahres-Studie ergab, dass männliche College-Sportler rund 19 Prozent der sexuellen Straftaten in den USA begangen haben – obwohl sie lediglich 3,3 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Und von 1.590 Spielern in der Saison 1996/1997 der National Football Ligue (NFL) hatten 509 Athleten eine kriminelle Vergangenheit. Sind Sportler vielleicht doch gewalttätiger als Nichtsportler?

John Hoberman, Sportsoziologe an der Universität in Texas, sagt, dass es keine ausreichenden wissenschaftlichen Beweise für diese These gebe, aber eine gewisse Verbindung zwischen der Sportleridentität und der Neigung, sich gewaltbereit zu verhalten, offenbar sei. „Ich würde ohne Zögern sagen, dass ein großer Anteil männlicher Sportler dazu tendiert, gewalttätig zu sein.“

Für Spielsportarten wie American Football, Basketball oder Eishockey, wo es zu harten Mann-gegen-Mann-Kontakten kommt, trifft das offenbar besonders zu. Gunter Gebauer, Berliner Professor für Philosophie und Sportsoziologie an der Freien Universität, sagt, dass die Athleten dazu erzogen würden, hochgradig aggressiv zu sein. „Der Sport bringt sie dazu, ein hohes Gewaltpotenzial zur Verfügung zu haben – allerdings immer im Rahmen von Spielregeln. Profisport geht jedoch an die Grenzen und schlägt eben oft über die Stränge.“

Eine, die das am eigenen Leib zu spüren bekam, ist die US-Amerikanerin Kathy Redmond. Als Studentin wurde sie von einem Footballspieler vergewaltigt. Ihr Peiniger hat mittlerweile in der NFL Karriere gemacht hat. Als Reaktion auf die eigene Erfahrung und die steigende Zahl von gewalttätigen Sportlern gründete sie 1997 die National Coalition Against Violent Athletes. Ziel der Vereinigung ist es, sowohl Athleten als auch die Öffentlichkeit über die Gewaltbereitschaft im Sport aufzuklären sowie Opfern zur Seite zu stehen. „Ich will, dass die Menschen erfahren, dass es sich hier um eine Epidemie handelt.“ Die Welt des Sports, sagt Redmond, sei von einer „win at all cost atmosphere“ charakterisiert – einem Verlangen nach Siegen, koste es, was es wolle.

Redmond und die Mitarbeiter ihrer Organisation gehen davon aus, dass Gewalttaten durch die sportliche Umgebung hervorgerufen werden können und damit nicht nur ein individuell psychologisches, sondern ein soziologisches Phänomen sind.

Mädchen vor der Tür

Das ist eine Annahme, die man sicher differenziert betrachten muss – zumal sich die äußeren Umstände von Sportart zu Sportart unterscheiden. Die amerikanische Football-Liga, zum Beispiel, rekrutiert ihren Nachwuchs hauptsächlich aus niedrigen Gesellschaftsschichten, in denen die Gewaltbereitschaft sehr hoch ist. Die hohe Zahl der kriminellen Athleten in der NFL könnte also auch durch die Herkunft der Spieler verursacht sein – und nicht durch den Sport. Letztlich verhält sich ein Großteil der Sportler aller Sportarten unauffällig, sodass nach Motiven für ein gesetzwidriges Verhalten immer in der jeweiligen Persönlichkeit zu suchen ist.

Offensichtlich ist, dass ein labiler Spitzensportler vielen Versuchungen erliegen kann. Auf der einen Seite werden ihm harte körperliche Leistungen sowie permanenter Kampf- und Siegeswille abverlangt, auf der anderen Seite reizt die Belohnung: Gagen, Ruhm und Anerkennung. Disziplin versus Maßlosigkeit – zwei extreme Pole, zwischen denen sich nicht jeder Athlet fehler- und lasterfrei hin- und herbewegen kann, zumal wenn die Grenze zwischem weiblichem Fan und Groupie verschwimmt.

„Spitzensport hat sehr viel mit Männlichkeit und Sex zu tun“, sagt Sportsoziologe Gebauer. Gerade der US-Basketball sei eine enorme Männerdomäne – die von manchen Frauen bewundert werde. „Das sind kräftige, große Männer, sehr männlich, sehr hart – da stehen bei Spielen hunderte von Mädchen vor der Tür. Die Sportler sind Sexsymbole. Das ist eine eigenartige Welt, in der sich das abspielt, die nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit Sex besetzt ist. Das rechtfertigt und entschuldigt nichts, aber im Sport liegt das sehr nahe beisammen.“

NBA-Star Bryant etwa entsprach so scheinbar gar nicht dem Bild des draufgängerischen Macho-Sportlers. Es bedurfte einer spektakulär inszenierten Pressekonferenz, einer öffentlich verzeihenden Ehefrau und eines millionenteuren Rings an selbige, um in einem ersten Schritt zumindest mal Amerikas Absolution für die gestandene außereheliche Aktivität zu bekommen.

Dass der „männliche triebhafte Typus“, wie Hoberman sagt, dem Image des Sports schadet, haben einige Funktionäre erkannt: Die NBA veranstaltet Seminare für junge Profis, bei denen es neben Karriere- und Geldanlageberatung auch um die Gefahren sexueller Ausschweifungen geht. Und darum, dass selbst der umschwärmteste Sportler das „Nein!“ einer Frau zu akzeptieren hat.

In Deutschland und Europa sei die Gewaltbereitschaft von Sportlern nicht so ausgeprägt wie in den USA, meint Gebauer. „Amerika hat männlichere Sportarten als Europa.“ Das kann man daran erkennen, dass Fußball in Europa als besonders männlich gilt: in den USA gilt er als Frauen- und Kindersport.

Auch im deutschen Profisports gibt es allerdings immer wieder Vorfälle. Gerade wurde der Fußballprofi Jean Clotaire Tsoumou-Madza (Eintracht Frankfurt) wegen sexueller Nötigung zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Und im Sommer sorgten zwei Eishockeyprofis der Berliner Eisbären für Schlagzeilen, als sie beschuldigt wurden, während des Trainingslagers in Schweden eine Frau vergewaltigt zu haben. Der Verdacht konnte letztlich nicht bestätigt werden. Aber Gerüchte, dass im Eishockey Gruppensexorgien – so genannte Gang-Bangs – durchaus üblich seien, ließen die Vermutung aufkommen, dass es nicht nur auf der Eisfläche rüde und rücksichtslos zugeht, sondern auch in den Kabinen.