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Archiv-Artikel

Vereintes Bibbern

aus dem Wendland NICK REIMER

Eigentlich ein Wunder, dass die Zigarettenwirtschaft das Wendland noch nicht entdeckt hat. Wo gewartet wird, wird geraucht. Im Wendland wird derzeit viel gewartet. Auf Aktionen. Auf Einsatzbefehle. Auf warmen Tee. Und natürlich auf den Castor. Rauchen also. Hilft gegen die Kälte. Nur selten kletterte das Thermometer über Null in den letzten Tagen. Polizisten wie Castor-Gegner – im Frieren sind alle vereint. Der Unterschied beginnt aber schon bei der Frage, wie man der Kälte zu entfliehen vermag. Die Polizisten verkriechen sich in ihre Busse – wo die Luft bald schlecht wird und die Scheiben beschlagen. Der Protest hat es da besser: Lagerfeuer und warmes Gesöff, und wer will, kann sich durch Trommeln wärmen. Oder durch Kuscheln mit dem Freund. Doch wer ist das eigentlich: der Protest?

1. Die Einheimischen

Es ist wie jedes Jahr, wenn der Castor rollt: Tausende Holzkreuze, die als gelbe Xe in der Landschaft stehen, Spruchbänder, Straßensperren, Trommelgruppen, Infopunkte, Baumhäuser auf der einen Seite, auf der anderen kreisende Hubschrauber, Blaulicht, Martinshörner und an jeder Straßenecke Autos in grün-weiß. Castor-Transport ist fünfte Jahreszeit im Wendland.

„Meine 74-jährige Mutter darf nicht zu ihrem Sohn im Nachbarort, die Kinder werden im Schulbus untersucht wie Terroristen, und ich kann nicht aufs Feld“, sagt Bauer Wilhelm Struck. Der 43-Jährige – dichtes, blondes Stoppelhaar – betreibt einen Ökohof mit 50 Hektar. Gegen den Castor seien 85 Prozent der Wendländer, „zumindest wenn man sie danach fragt“, sagt Struck. Dann zieht er an der Zigarette. Offenbar werden sie nur selten gefragt. 50.000 Einwohner hat die Region. Zur großen Kundgebung in Dannenberg kamen nur 5.000. „Ich jedenfalls mache Stunk“, kündigt er an. Das macht er schon, seit die Arbeiten am Endlager begonnen haben – vor 26 Jahren.

2. Das Anti-Atomnetz

„Stunk“ will die Aktion X-tausendmal quer nicht machen. „Das haben wir gar nicht nötig“, sagt Spiritus Rektor Jochen Stay. Schließlich garantiere die Demokratie ein Mindestmaß an Grundrechten. „Und wir nehmen uns die Freiheit heraus, diese zu nutzen“, sagt Stay. „Aber wo der Castor rollt, legt die Staatsmacht die Grundrechte auf Eis.“ Und auch darauf wollen sie aufmerksam machen.

Von Bremen bis Dresden – X-tausendmal quer ist eine Aktionsplattform des bundesdeutschen Anti-Atom-Protests. Es gibt Bezugsgruppen, die einen Sprecher wählen, der dann im Sprecherrat alle Aktivitäten entscheidet.

Der typische X-tausendmal-Querler sei „zumeist jünger und gewaltfreier“, sagt Sprecher Peter von Rüden. Viele Studenten seien darunter und in diesem Jahr auch erstaunlich viele Handwerker. Alle sind gut ausgerüstet, gut vernetzt, gut organisiert – „Blockade in Rohstorf nach knapp 2 Std. teilweise unnötig brutal geräumt“, heißt die SMS von 11.52 Uhr.

„Würden Sie bitte“, sagt der Polizist, und „Wären Sie so freundlich“ – „Nö“, sagt Bauer Struck. „Das ist mein Wald, und da muss ich jetzt Holz machen.“ Und weil man nicht durchkommt, bleibt nichts anderes übrig, als die Straße zu blockieren. Grüne Fahnen sind auch da und Menschen die rauchen und Slogans rufen. „Bullen kommen und gehen, wir aber bleiben hier.“

„Haben Sie Kinder? Kennen Sie Bilder aus Hiroschima? Wissen Sie was Leukämie ist?“ Die Demonstrantin rechts neben Struck hat viele Fragen. „Wir machen nur unseren Job“, sagt der Polizist. Er kommt aus Sachsen-Anhalt. Ausgerechnet Sachsen-Anhalt. Vor Jahren haben die Anhalter sich den zweifelhaften Ruf erworben, die härtesten von allen zu sein. „Wir woll’n die Mauer wieder haben“, schreit dann einer der Bauern. „Heee“, raunzt ein junger Mann, „wir könn’ ja gehen, wenn’s dir nicht passt.“

Der, der da raunzt, heißt Martin Preus. Er kommt vom anderen Ende des Salzstockes, „von drüben“, aus der Nähe von Salzwedel. Eigentlich studiert er in Kassel Soziologie und hat auch sonst viel zu tun. „Wir bereiten einen Uni-Streik vor“, sagt der Mittzwanziger. Trotzdem ist er gekommen. „Die ganze Atompolitik dieses Staates ist Mist“, sagt er. Dann fallen Worte wie „Tschernobyl“, „Angst“ und „meine Kinder“. Er hat sich freigenommen, um sich zu widersetzen.

3. Das Protestreisebüro

Widersetzen kann man sich entlang der Straßenstrecke des Castor-Transportes sehr gut. „Wir bieten Jungen wie Alten, Akademikern wie Krankenschwestern, Zugereisten wie Einheimischen eine Plattform“, sagt Katharina von Bechtolzheim. Die 36-jährige Lehrerin weist gerade Neuankömmlingen aus der Pfalz am Infopunkt einen Schlafplatz zu. Viele Bauern stellen ihre Scheune zur Verfügung oder kochen. Es gibt Feuerholz, Nachtwachen und Merkblätter für „Igel und solche, die es werden wollen“.

Die Aktion Widersetzen ist eine Art Bewegungsbetreuungs-Börse – ein loser Zusammenschluss von Einheimischen, die froh sind, dass sie nicht allein stehen. „Wir sind lange nicht so gut organisiert wie die Leute von X-tausendmal quer und längst nicht zu solch politisch fundierten Aussagen fähig wie die Bürgerinitiative der Bauern“, sagt Katharina von Bechtolzheim. Aber es gibt andere Gründe, sich ihnen anzuschließen: „Widersetzen ist einfach unheimlich freundlich, unheimlich warm“, findet Martin Preus.

Für scheinbar alles wird gesorgt. Ein Handzettel verspricht: „Widersetzen wird sich um die juristische Nacharbeit kümmern.“ Falls es denn dazu kommt.

Immer mehr Demonstranten sammeln sich auf der Straße vor den Traktoren. Bauer Struck argumentiert noch immer mit seinem Holz, das er jetzt holen müsse. Die Polizei argumentiert weiter mit dem Versammlungsverbot: Transportstrecke ist Transportstrecke – und darum muss 50 Meter rechts und links alles frei bleiben. Der Ton wird gereizter. Es gibt Geschubse. Bauer Struck soll in ein Polizeiauto. „Buhhh“, schreien die Demonstranten. „Ihr wollt doch nur Bäume auf die Transportstrecke werfen“, sagt ein Polizist. Dann werden die Motorsägen beschlagnahmt. Struck sagt, er mache sich keine Illusionen, so den Castor aufhalten zu können. Aber das sei noch immer besser, als einfach zu Hause zu bleiben.

4. Die Helden

Aufhalten können den Castor – wenn überhaupt – nur Aktivisten von Robin Wood oder Greenpeace. Als sie am Sonntag den Förderturm in Gorleben besetzten, waren viele Demonstranten beeindruckt. In polizeigrünen Overalls sind sie an Freund und Feind vorbeigejoggt, haben jeden freundlich gegrüßt, und plötzlich waren sie oben. Das sei der Nachteil der Polizei: „Die Befehlsketten sind langwierig. Das ist immer wieder unsere Chance“, sagt Bettina Dannheim von Robin Wood. Deshalb hat sie die Hoffnung, dass der Zug mal wieder nicht so glatt durchkommt. Bewegung braucht Helden. „Sicherlich ist es ein schönes Gefühl, von den Leuten beklatscht zu werden“, sagt sie.

Aber genau diese Leute braucht es, denn die Aktionen seinen eingebettet in über 20 Jahre Widerstand. Außerdem gehe es nicht um den Beifall, sondern um die Botschaft. Und manchmal ließen sich Zusammenhänge eben besser plakativ verkaufen. „Die Aktion am Sonntag veranschaulichte, wofür wir sonst drei Dutzend Sätze brauchen“, sagt sie. Natürlich bringe man sich dadurch in ein echtes Dillemma. Im März 2001 hatten Robin-Wood-Aktivisten den Zug 16 Stunden lang aufgehalten. „Gelingt es uns heute, ihn eine Stunde zu stoppen, wird das kaum mehr wahrgenommen.“ Heldentum, das verpflichtet. Doch spektakuläre Aktionen sind seitdem viel schwerer geworden. „Praktisch jeder von uns hat hier zwei Polizisten als Begleitschutz“, beklagt sie. Trotzdem werden sie wieder versuchen, auf die Strecke zu kommen. Der Bilder wegen.

5. Die Politiker

Die Motorsägen bleiben beschlagnahmt. Rebecca Harms, die niedersächsische Fraktionschefin der Grünen, versucht zu vermitteln. Das ist nicht einfach. Seit die Grünen eine öffentliche Fraktionssitzung an der Strecke abgehalten haben, bezeichnet die Polizei sie als parteiisch. „Diese Aktion hat die Stimmung nur noch aufgeheizt“, kritisierte ein Sprecher der Deutschen Polizeigewerkschaft. Nicht nur Niedersachsens Bündnisgrüne und die PDS sind im Wendland unterwegs – auch die CDU. Die Christdemokraten gegen Atomkraft kritisieren den Zug nach Gorleben als „kriminellen Transport ohne Versicherungsschutz“. Und protestieren natürlich dagegen.

Aber von Politikern will hier ohnehin niemand etwas wissen. „Die Grünen feiern jetzt die Abschaltung von Stade als Durchbruch. Als ob das am Problem irgendetwas ändern würde“, sagt Martin Preus. Und die CDU soll ihm gestohlen bleiben. „Der Abgeordnete aus dem Wendland ist derjenige, der die Suche nach einem Alternativstandort blockiert.“ Auch Rebecca Harms hat einen schweren Stand. Sie kann nicht verhindern, dass nun auch noch die Traktoren beschlagnahmt werden. Später werden sie dann eingezäunt und bewacht – auf einem Feld, das ausgerechnet Wilhelm Struck gehört. Reichlich viel Ärger für ein paar Stunden Straßenblockade. „Lieber verlieren, als es gar nicht versucht zu haben“, sagt Bauer Struck, „sonst wird man doch verrückt.“