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Archiv-Artikel

„Das ist ein zivilisatorischer Fortschritt“

Der Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit begrüßt, dass die Empörung im Fall Hohmann – im Gegensatz zum Fall Nitzsche – Folgen hat

taz: Herr Cohn-Bendit, die Union hat nun entschieden, Martin Hohmann aus der Fraktion auszuschließen. War das richtig?

Daniel Cohn-Bendit: Ja, das war gut. Ich muss sagen, dass ich, als ich Hohmanns Rede gelesen habe, viel gelacht habe – so viel Unfug steht darin. Aber ich halte es für einen zivilisatorischen Fortschritt, wenn die Union nun eine Grenze zieht und sagt: Wer die Nazipropaganda von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung für diskutabel hält, gehört nicht in unseren Club. Wir haben doch immer verlangt, dass Empörung Konsequenzen haben muss und keine leere Formel bleibt.

Widerspricht es nicht der libertären Grundauffassung, bei Verstößen gegen den Commonsense auf Ausschluss und Verbot zu setzen?

Nein. Man muss hier genau zwischen Meinungsfreiheit und Politik unterscheiden. Eine Partei ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Leuten – und die haben das Recht, jemanden auszuschließen, der ihrer Ansicht nach die Werte ihrer Partei nicht teilt. Hohmann wird doch nicht strafrechtlich verfolgt. Wenn es so wäre, müsste man das Recht, dass er seine Thesen verbreiten darf, verteidigen. Aber das ist nicht der Fall.

Hypothetische Frage: Hätte der Fall Hohmann vor dreißig Jahren auch mit dem Ausschluss aus Partei oder Fraktion geendet?

Wahrscheinlich nicht. Damals waren in der Union noch zu viele in die NS-Zeit Verstrickte in Amt und Würden. Man sieht also an dem Fall Hohmann, dass die Bundesrepublik – trotz aller Irrungen und Wirrungen – einen respektablen Entwicklungsprozess hinter sich hat. Es gibt in Deutschland eine durchaus bewunderswerte, komplexe Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte – trotz der Ausraster …

die allerdings in schöner Regelmäßigkeit passieren …

Ja, sicher. Aber die Gesellschaft ist, trotz beispielsweise der Möllemann-Affäre, viel weiter als vor dreißig Jahren.

Ist Hohmann also nur ein Einzelfall? Oder hat er nicht doch das dunkle deutsche Familiengeheimnis verraten – nämlich dass der Antisemitismus ein fortwährendes Phänomen ist? Subkutan, verdeckt, trotzdem verbreitet?

Natürlich gibt es subkutanen Antisemitismus – aber das ist keine deutschen Eigenheit. Der traditionelle christliche Antisemitismus ist etwa in Polen, Spanien und Frankreich heute offenkundiger. Es gibt in Frankreich, auch in Schweden, heftigen Antisemitismus von islamischen Migranten. Es gibt also klandestinen und offenen Antisemitismus. Aber das ist ein universelles Problem, kein speziell deutsches Familiengeheimnis. Es reicht aber nicht, auf diese massenhaften antisemitischen und rassistischen Affekte empört zu reagieren. Wir müssen uns darum kümmern, diese Affekte zu zivilisieren – sie zur Sprache bringen, eine Debatte zu führen, Nachdenklichkeit herstellen und auch Grenzen ziehen. Das hat die Union – unter öffentlichem Druck – jetzt getan. Und das ist gut.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, hat die Affäre Hohmann als „schlimmsten Fall von Antisemitismus seit Jahrzehnten“ bezeichnet. Ist mit solcher Dramatisierungsrhetorik etwas gewonnen?

Eher nicht. Die Jüdische Gemeinde hat jedes Recht, ihre Empörung zu artikulieren. Das ist klar. Falsch finde ich, wenn sie immer gleich politische Konsequenzen fordert. Nicht weil sie in diesem Fall falsch wären. Aber auf diese Idee muss die Union schon selbst kommen. Die Gojim [Nichtjuden, d. Red] müssen halt selbst begreifen, dass Antisemitismus nicht akzeptabel ist und Folgen haben muss. Wenn der Eindruck entstände, Hohmann sei gefeuert worden, weil man Angst vor dem Zentralrat der Juden hatte, wäre das ganz fatal.

Gibt es diesen Eindruck?

Nein, zum Glück nicht. Sogar im Gegenteil. Mit scheint, dass Welt und Bild, mit Verlaub, weniger die taz, Angela Merkel in die Knie gezwungen haben.

Wo liegt der Unterschied zwischen Hohmann und Möllemann?

Der Möllemann-Fall war kompliziert, weil es um Israel ging. Möllemann hatte Richtiges und viel Falsches über Israel gesagt. Es ist gefährlich, jede Israelkritik mit Antisemitismus zu assoziieren.

Warum?

Mit solchen Tabus fördert man manchmal genau das, was man verhindern will. Wer Tabus fordert, sagt doch immer gleichzeitig – Tabubruch. Kritik an Israel pauschal zu diffamieren bringt nichts. Das verhindert vielmehr den notwendigen Lernprozess der Gesellschaft, zwischen antisemitischen Klischees, die in der Tat oft mitschwingen, und rationaler Kritik unterscheiden zu können. Bei Möllemann lag der antisemitische Affekt weniger in der Israelkritik. Skandalös war, dass er gesagt hat, Friedman selbst sei für Antisemitismus verantwortlich. Das war ein antisemitisches Bild – die Juden sind selbst schuld.

Zurück zur Union: Henry Nitzsche, der mit antimuslimischen Parolen auffiel, bleibt in der Partei, Hohmann fliegt. Ist das okay?

Nein. Es bezeichnet aber treffend die innere Verfassung der CDU und wohl auch der Gesellschaft. Antisemitismus wird nicht geduldet, bei rassistischen Äußerungen sieht man die Sache irgendwie nicht so eng. Das ist auch kein Wunder. Die Bundesrepublik hat viel für die Überwindung des Massenantisemitismus getan – und weniger für die Ächtung des Massenrassismus. Deshalb haben antimuslimische Affekte in der Gesellschaft eine viel größere Basis als antisemitische. Dass Nitzsche bleibt, scheint mir zu zeigen, dass die Union daran nichts ändern will.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE