piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Postmann klingelt keinmal

Briefe erreichen ihre Adressaten immer öfter mit Verspätung, weil Ersatz für ausgefallene Boten fehlt, berichten Postmitarbeiter. Die Post AG selber will dies allenfalls im Einzelfall registriert haben

VON RICHARD ROTHER

Gerlinde Holzmann* ist sauer. An manchen Tagen bewegt die Westberliner Briefträgerin sechs bis sieben Postbehälter – trotzdem „bricht bei uns manchmal das Chaos aus“, dann könnten Briefe nicht ausgetragen werden. Für Holzmann, Postzustellerin mit Leib und Seele, nur schwer zu ertragen: „Jeder Zustellbezirk, der liegen bleibt, ist einer zu viel.“

Das allerdings kommt offenbar immer häufiger vor – wegen eines „totalen Personalmangels“, wie Holzmann sagt. Hartmut Mainzer*, ein Berliner Postbetriebsrat, hat versucht zu zählen. In seinem Bereich seien im Oktober bislang von rund 600 Bezirken täglich im Durchschnitt 2,2 liegen geblieben, sagt Mainzer. Das heißt: In diesen Gegenden wurde an den betreffenden Tagen gar keine Post zugestellt.

In Berlin gibt es nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di rund 2.500, in Brandenburg sind es rund 1.900 Zustellbezirke.

Die Zahl der liegen gebliebenen Bezirke mag Außenstehenden gering erscheinen, für passionierte Postler wie Holzmann und Mainzer ist sie aber unvorstellbar hoch: „Das wäre früher undenkbar gewesen.“ Oder eine „absolute Ausnahme“, so Mainzer. Jetzt beobachte er beim Management hingegen eine gewisse Gleichgültigkeit. Das seien eben keine Postler, sondern Betriebswirtschaftler, meint Zustellerin Holzmann.

Stefan Teuscher, Post-Experte bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, bestätigt diese Tendenz. „Es ist scheinbar nichts Ungewöhnliches mehr, dass Post liegen bleibt.“ Der Umfang lasse sich aber nur schwer quantifizieren. Die Beschwerden überlasteter Mitarbeiter hätten sich aber in den letzten Wochen „eindeutig gehäuft“. Insgesamt bedeute dies einen Qualitätsverlust des Unternehmens, wenn Bezirke nicht oder nicht vollständig ausgetragen würden, so der Gewerkschaftler.

Für Teuscher gibt es eine einfache Alternative. „Man muss sich am echten Personalbedarf orientieren.“ Allerdings habe die Post ihre eigenen Ausgebildeten nicht übernommen, nicht einmal befristet, wie die Arbeitnehmervertreter vorgeschlagen hätten, kritisiert Teuscher. „Das stellt sich nun als schwerer Fehler heraus.“

Die Post AG weist die Vorwürfe zurück. Probleme gebe es allenfalls in Einzelfällen, so Unternehmenssprecherin Sylvia Blesing. Von Häufungen sei ihr nichts bekannt. Der Umgang mit Ausfällen – etwa wegen Krankheit – gehöre zum normalen Geschäft. Solche Ausfälle würden mit Springern kompensiert, oder die Arbeit werde auf andere Mitarbeiter aufgeteilt. „Wir steuern unseren Personaleinsatz nach den anfallenden Sendungsmengen.“

Zustellerin Gerlinde Holzmann scheint dies allerdings nicht auszureichen. „Wir brauchen mehr Leute, die voll arbeiten.“ Bei den Kollegen seien die Überstundenkonten rappelvoll, und manche schleppten Berge von Resturlaub vor sich her.

*Name geändert