: Zweideutige Gaben
Das Delmenhorster One-Night-Festival für neue Musik feierte seinen Gründer Hans Joachim Hespos
Damen im kleinen Schwarzen, Herren im Anzug, ein Dirigent im Frack: Äußerlich nicht zu erkennen, dass es sich um das nun schon 34. Minifestival „Neue Musik in Delmenhorst“ handelte, das der dort ansässige Komponist Hans Joachim Hespos, ein leidenschaftlicher Provinzbewohner, seit 1968 jährlich veranstaltet.
Große Ensembles waren dort ebenso zu Gast wie unbekannte InterpretInnen, große Komponisten werden ebenso gespielt wie NachwuchskünstlerInnen. Die Bekanntheit von Hespos garantiert in der Regel aufregende und innovative Ereignisse. Im norddeutschen Raum, in dem man Veranstaltungen mit zeitgenössischer Musik an einer Hand abzählen kann, steht der Delmenhorster 11.11. einzigartig da, gerade auch, weil so viele andere Aktivitäten wieder zusammengebrochen sind – auch solche von Hespos selbst. Die Frage jedenfalls, ob nicht gerade die Provinz ein spezifischer Nährboden für avantgardistische Kunst sein könnte, erhält durch dessen kontinuierliche Delmenhorster Aktivitäten eine eigene und originelle Antwort.
Dieses Jahr gab es nun ein Geburtstagskonzert für den Meister, der im Frühjahr 65 geworden ist. Es spielte die 1996 gegründete „Sinfonietta Leipzig“ unter der Leitung von Johannes Harneit: ein Ensemble des ruhmreichen Gewandhausorchesters, das beweist, dass die Wiedergabe von alter und ganz neuer Musik einander keineswegs ausschließen. Als Geschenke offerierte es Uraufführungen – die recht unterschiedlich ausfielen. Einfallslos, ja langweilig kamen der „Delmen-Gruß“ des Italieners Luca Lombardi und „Fanfare Fatale“ von Kai Ivo Nowáck daher. Die „Intrada-Choral-Hymne“ von Jochen Neurath präsentierte sich so fiddelig, dass das Publikum nicht erkennen konnte, wann’s zu Ende war.
Von Hespos selbst wurde das im vergangenen Jahr entstandene „Seta“ intoniert – ein Raumstück für 13 SpielerInnen. In erstaunlicher Weise setzt es dessen, bei Adorno entlehntes, ästhetisches Credo um, „Dinge zu machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind“. Hespos hat in seinen Orchesterwerken immer am Verhältnis von Individuum und Kollektiv gearbeitet. In „Seta“ lässt er einen ganz leisen, empfindsamen Klangteppich genießen, gibt aber andererseits vollkommen selbständige Einzel-Stimmen und Stimmungen zu hören. Anhaltender Beifall nach einer brillanten Aufführung. ute schalz-laurenze