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Archiv-Artikel

Mit sich selbst im Reinen

Rainer Schüttler hat sich in diesem Jahr zu einem der besten Tennisspieler der Welt gemausert. Beim Masters Cup in Houston kann er das als nächstes gegen den Amerikaner Andy Roddick zeigen

aus Houston DORIS HENKEL

Als Rainer Schüttler vor ein paar Tagen in einem Anflug von Enttäuschung meinte, er hätte sich dieses Turnier um den Masters Cup größer, schöner und schillernder gewünscht, da wirkte vieles noch vage. Doch diese Phase hat er hinter sich. Der Sieg gegen Guillermo Coria (6:3, 4:6, 6:2) im ersten Spiel der roten Gruppe hat ihn befreit und beflügelt – und nun könnte es ziemlich aufregend werden. Donnerstag nämlich, im Spiel gegen Andy Roddick, den neuen, umjubelten Star der Amerikaner.

Zu behaupten, er habe Angst vor dem Spiel gegen Coria gehabt, wäre übertrieben. Aber wenn er zugibt, er habe sich vor der ersten Partie beim Masters Cup eine Menge Druck gemacht, dann kann man daraus ableiten, wie schwer die Last dieses ersten Auftritts in Houston gewesen ist. Schwer aus mancherlei Gründen. Keiner spielt gern gegen einen Kollegen mit ähnlicher Spielanlage, keiner geht unbelastet in die erste Partie, von der schon so viel abhängt für den weiteren Verlauf, und keiner ist scharf darauf, bei schwüler Hitze gegen einen zu spielen, der unter anderem auch für seine läuferischen Qualitäten bekannt ist.

Schüttler gewann verdient, obwohl er nicht immer bei seinem Plan blieb, aggressiv zu spielen und Druck zu machen, und obwohl er bisweilen ungnädig mit sich selbst war. Ungnädig – aber ungeheuer schnell. Mit quietschenden Sohlen drehte er seine Runden, erreichte Stoppbälle, die außer ihm vermutlich keiner erwischt hätte, und vor allem am Ende war er der Mann mit den besseren Schlägen und der besseren Kondition.

An diesen kleinen Löchern in der Konzentration, an den gefährlichen Rückzügen in die Passivität, müsse Schüttler sicher noch arbeiten, meint Coach Dirk Hordorff. „Auch so was kann man von einem wie Andre Agassi lernen. Der bleibt, selbst wenn er in Rückstand liegt, immer bei seiner Linie.“ Agassi ist ein gutes Stichwort, in mehrfacher Hinsicht. Den hat Schüttler mit dem Sieg im ersten Gruppenspiel zumindest für ein paar Tage im Champions Race überholt und auf Platz sechs verdrängt, und selbst wenn es am Ende dieser Woche nicht dabei bleiben sollte – diese Momentaufnahme hat ihren Wert.

So groß die allgemeine Anerkennung war, als Schüttler zu Beginn dieses Jahres ins Finale der Australian Open stürmte – als er klar in drei Sätzen gegen Agassi verlor, meinten viele: Na ja, der spielt halt doch in einer anderen Liga. Ebenso viele meinten, die Leistung von Melbourne werde er im Verlauf des Jahres kaum bestätigen können. Beim letzten Turnier 2003 aber gibt es keinen Zweifel, dass Deutschlands bester Tennisspieler dieser Tage zu den Besten der Welt gehört.

Wie befriedigend ist es nun, in einer Spanne von zehn Monaten immer wieder zu beweisen, dass sich ein paar Leute geirrt haben in der Einschätzung seiner Qualitäten? „Ach, das ist mir eigentlich egal“, sagt Schüttler. „Das Wichtigste ist, dass ich mir selbst bewiesen habe, dass ich gegen jeden gewinnen kann.“

Mit sich selbst im Reinen zu sein ist nicht das Schlechteste aller Gefühle. Schüttler freut sich auf die Begegnung mit Roddick. Gegen den spielt er gern und gut, wie zwei Siege in bisher drei gemeinsamen Spielen beweisen. An das eine, das Halbfinale der Australian Open, erinnert sich Schüttler immer noch mit einer Mischung aus Staunen und Stolz. Damals in Melbourne hatten die meisten in ihm gegen den jungen Wilden aus den USA den krassen Außenseiter gesehen, doch am Ende stand der verdiente Sieg in vier Sätzen.

Roddick ist ein besserer, weil weniger wankelmütiger Spieler als im Januar, wie der Triumph bei den US Open gezeigt hat, aber auch der erste Sieg beim Masters Cup im Gruppenspiel gegen Carlos Moya. Mit diesem Erfolg ist auch klar, dass Roger Federer raus aus dem Rennen um die Nummer eins im Champions Race ist. Sieht so aus, als seien Ströme von Energie unterwegs zwischen Houston und Roddick. Der hat in den vergangenen Jahren im Westside Tennis Club insgesamt 18 Mal bei diversen Gelegenheiten gespielt – mit einer einzigen Niederlage. Die Amerikaner sagen in solchen Fällen gern: He owns the place. Aber wem da was gehört, das wird sich zeigen. Wäre nicht die erste Geschichte, in die sich Rainer Schüttler einmischte in diesem Jahr.