: Auf die deutsche Hauptstadt stolz
Warum ich beim Gang durch Berliner Museen kosmopolitisch zu denken begann
Berlin ist durch seine musealen Sammlungen der Antike weltberühmt, aber heute kann man schon behaupten, dass die zeitgenössische Kunst und die Kunst des 20. Jahrhunderts hier sehr gut und voll vertreten sind. Dabei wundert sich der ausländische Gast nicht nur über die überraschend billigen Eintrittskarten, sondern auch über das ganz besondere Verhältnis der deutschen Regierung zur zeitgenössischen Kunst. Die Werke der radikalsten Künstler haben sogar ihren Platz im Reichstag gefunden. Solch eine Situation ist noch unvorstellbar für die meisten osteuropäischen Länder, wo die so genannte sozialrealistische Kunst bis in die 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts herrschte. Die Anerkennung der zeitgenössischen Kunst auf der politischen Ebene zeugt davon, wie stark die kulturelle Tradition in Deutschland ist.
Da dieses Jahr unter dem Zeichen der deutsch-russischen Begegnungen steht, wundert die Zahl der Ausstellungen russischer Künstler nicht so. Parallel zur großen, politisch orientierten Ausstellung „Berlin–Moskau 1950–2000“ im Martin–Gropius–Bau kann man noch mehr als 15 Orte nennen, wo die russische Kunst präsentiert ist. Man muss ganz ehrlich hinzufügen, dass die Künstler aus Russland in Berlin einen guten Ausstellungsort gefunden haben, den sie zu Hause noch nicht haben, da dort noch kein richtiges Haus für die zeitgenössische Kunst existiert. Obwohl sowohl das russische Museum als auch die Tretjakow-Galerie in Moskau Sammlungen zeitgenössischer Kunst haben, kann man für diese Kunstwerke nur träumen von einem Extragebäude, in dem die architektonische Form des Baus dem Inhalt (den Beständen) des Museums entsprechen wird.
Als Kaliningraderin bedauere ich nur, dass die russische Kunst in Berlin fast ausschließlich durch die russischen Kunsthauptstädte repräsentiert ist. Ich meine, es wäre für die Berliner auch interessant, die Künstler aus Kaliningrad (ehemals Königsberg) kennen zu lernen.
Ich persönlich halte Berlin für eine sehr kreative, hoffnungsvolle Stadt. Bei der Besichtigung der Berliner Neubauten und Museen ertappte ich mich mehrmals dabei, dass ich kosmopolitisch zu denken begann – und ich bin stolz auf die deutsche Hauptstadt. Als ob auch ich hier geboren wäre.
GALINA SABOLOTSKAJA
Die Autorin ist Kunsthistorikerin und derzeit stellvertretende Direktorin der Staatlichen Kunstgalerie im russischen Kaliningrad, dem früheren Königsberg