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Archiv-Artikel

Mein dicker, peinlicher Verleger

Die Edition Tiamat wird 25 Jahre alt. Ein Abend mit dem Bibliomanen Klaus Bittermann

„Exi-Retro, das ist der Trend. Das Geschäft meines Lebens“

„Einer geht noch, einer geht noch rein!“, singt der grobschlächtig wirkende Koloss. Dann schlägt er voller Vorfreude mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser und Flaschen nur so klirren und zittern. Hier bei „Hanne“ in Kreuzberg ist Klaus Bittermann zu Hause, hier fühlt er sich wohl, hier verbringt er gern die Abende im Kreise seiner Autoren. Die allerdings jetzt schon etwas lädiert aussehen. Denn vor jedem der Schriftsteller und Zeichner, die sich um ihren munteren Verleger versammelt haben, liegen zwölf Kümmerling-Fläschchen. „Ungerade! Ungerade muss die Zahl sein!“, knöttert der Verleger in die Runde: „Mausi, bring doch noch ein’ Kümmerling, sei doch so gut, bist ein Schatz, öööörps“, übernimmt Bittermann gekonnt rülpsend die Bestellung, auch wenn seine Autoren müde protestieren. Einer schläft bereits, Fritz Tietz hat genug von dem braunen Kräuterlikör.

Klaus Bittermann ist Verleger, und wenn man ihn bei seiner Lieblingsbeschäftigung, der „Autorenbetreuung“, beobachtet, möchte man es nicht glauben, dass er all die feingeistigen Dichter in sein Verlagshaus geholt hat. „Auf alle, die heute nicht da sind!“, hebt der Großverleger nun den frischen Schnaps und lässt den Tränen und dem Kümmerling freien Lauf. Doch als er das Fläschchen kräftig auf den Tisch haut, ist schon wieder alles gut. Freudig schaut er in die Zukunft: „Auf die nächsten 25!“, rattert er wieder los und winkt gar nicht verstohlen Nachschub heran. „Pause … bitte … Pause …“, entfährt es Gerhard Henschel, den der Geburtstagsumtrunk endgültig geschafft hat.

Seit 25 Jahren steht der geborere Franke und leidenschaftliche Bayern-München-Fan Bittermann der Edition Tiamat vor, einem Großverlag, der ganz zur Statur seines Verlegers passt. Bittermann misst stolze zwei Meter zwei, und sein Leib hat einen beeindruckenden Umfang. Seine mächtigen Backenkoteletten haben schon manchem Sturm der Zeit getrotzt. Wie gewohnt trägt Bittermann auch heute seine fleckige „Verlegerkutte“, wie er das zerschlissene Kleidungsstück nennt, das dringend ausrangiert werden müsste. Es ist voller Aufnäher, die von alten Schlachten des Buchmarktes zeugen. Vorne ist eine Greser&Lenz-Zeichnung von Joachim Unseld zu sehen, über dessen Haupt die Zeile prangt: „Ha, ho, he, Suhrkamp ist k. o.“ Und auf Bittermanns Rücken preist ein taschenbuchgroßer Aufnäher den eigenen Verlag an: „Steht auf, wenn ihr für Tiamat seid!“

Leicht wahnsinnig muss man schon sein, wenn man allein aus Liebe zum Buch Großverleger wird. Doch Bittermann ist zwar ein Bibliomane, aber Wahnsinn ist nichts für ihn, lieber hält er seine Autoren unter Kontrolle und schneidet ihnen ein schönes Buch nach dem anderen aus den mageren Rippen. Da wird selbst vor der Tischdecke nicht Halt gemacht, auf der er nun einen Vertrag entwirft und vom völlig wehrlosen Wiglaf Droste unterzeichnen lässt, dem der alte Business-Hengst Bittermann sogar die Hand führen muss.

In Erwartung des gewaltigen Gewinns schmeckt der nächste Likör umso besser. Man merkt Bittermann eben seine jahrzehntelange Erfahrung als Werbe-, Marketing- und Public-Relation-Profi an. Besonders wenn er dem völlig krumm getrunkenen Joseph von Westphalen seinen Lieblingsplan erklärt: „Wir müssen den Existenzialismus wiederbeleben“, bricht es mit nun doch schwerer Zunge aus Bittermann hervor: „Exi-Retro, das ist der nächste Trend. Das Geschäft meines Lebens.“ Fanny Müller sieht derweil ihren Verleger ungläubig an, als ob der schon wieder vorgeschlagen hätte, im Morgengrauen auf Schmetterlingsjagd zu gehen – alle zusammen, und zwar völlig nackt.

Als Bittermann schließlich aus dem Lokal stolpert und seine auf die Taxis wartenden Autoren entdeckt, dröhnt er mit der in vielen Gelagen geschulten Bassstimme ein letztes Mal seinen Schlachtruf in die Nacht: „Morgen wieder! Auf ein Frisches! Au fein!“ Dann steigt er mit erhobener Faust in seinen Mercedes S 500 4Matic, den er zärtlich „Bittermobil“ getauft hat, und verschwindet im dichten Nebel von Kreuzberg. MICHAEL RINGEL

Zum 25. Geburtstag der Edition Tiamat lesen morgen um 21 Uhr im Roten Salon der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Autoren des Verlags aus ihren historischen Werken. Zu Gast sind Greser&Lenz, Wiglaf Droste, Ralf Sotscheck, Hartmut El Kurdi, Fritz Tietz, Horst Tomayer und viele andere