piwik no script img

Archiv-Artikel

Beck’s and the City

Nicht die Stadt drückt der Literatur ihren Stempel auf, sondern umgekehrt: Drei Schriftsteller aus Chicago plauderten im Café Eggers & Langwehr über „Writing the City“, riefen den Geist Al Capones an und landeten irgendwie bei Berlin

Ach, würde Chicago doch noch einmal brennen! Würde das Alte doch noch einmal vom Feuer verschlungen, auf dass der Leib der Moderne sich abermals monumental und ohrenbetäubend aus der Erde hebt und seine vielzähligen Gliedmaßen in den Himmel streckt!

Al Capone wäre nicht Folklore, sondern Herr über Leben, Tod und die unsichtbaren Hebel jenes gewaltigen Organismus, dem Carl Sandburg einst sein Gedicht über die „Stadt der breiten Schultern“ zu Füßen legte. Die Moderatorin im Café Eggers & Landwehr erkor es hoffnungsvoll zur Ouvertüre eines literarischen Abends zum Thema „Writing the City“, der dann aber eher lau und leise dahinplätscherte.

Sie ist zahm geworden, die Stadt – mehr Abenteuerspielplatz denn mächtiger Dschungel, dessen Rhythmus unwiderstehlich Leben und Schreiben bestimmt. Niemand erwartete daher von den Gästen, dass sie atemlos aus den Schlachthöfen berichten wie einst Upton Sinclair. Aber vielleicht hätte man sie trotzdem einfach aus ihren Büchern lesen lassen sollen: den gebürtigen Bosnier Aleksandar Hemon, der in den USA zu den neuen literarischen Stars zählt, Kevin Young, der im Moment so heiß gehandelt wird, wie das am publizistischen Nebenschauplatz Lyrik möglich ist, und Cris Mazza, eine postfeministische Ikone der Indie-Szene.

Doch leider war der Parcours des Abends abgesteckt: Es sollte darüber geredet werden, wie die Stadt, wie Chicago das Schreiben beeinflusst. Und das, obwohl Young schon lange nicht mehr dort lebt und Mazza erst seit ein paar Jahren, allerdings am Stadtrand. Nur Hemon ist eingefleischter Großstädter. Allerdings war er das schon früher in Sarajevo, weshalb er mit einiger Folgerichtigkeit sagte, dass die Stadt selbstverständlich seine Texte präge, sie sei schließlich seine natürliche Umgebung.

Dann redete Young darüber, dass man in einer Stadt erst durch die Erinnerung an Orte, die verschwunden sind, heimisch werde. Nicht die Erregung, sondern die nostalgische Rückschau ist demnach der Modus, in dem die Stadt heute erlebt wird. Und ihre Identität, ergänzte Hemon, erhalte sie durch die Geschichten, die man über sie erzählt. Womit er sogar eine Antwort auf die Frage des Abends gab: Nicht die Stadt drückt der Literatur ihren Stempel auf, sondern umgekehrt.

Städte, fuhr er fort, bringen ihn zum Nachdenken über andere Städte. Und so war es auch auf dem Podium: Gedanken stießen einander an wie Kiesel, die gemächlich ein Flussbett hinabrollen; alle steuerten Episoden bei, Al Capone wurde aufgerufen und irgendwann ein vergleichender Schlenker zu Berlin gemacht, womit endlich alle Vorgaben erfüllt waren, irgendwie.

Kurzum: Die Zuhörer wohnten trockenen Mundes einer Kneipenplauderei über das Leben in Städten bei. Dann war Schluss, und man nahm sich vor, am Samstag zu Kevin Youngs Lesung in der Backfabrik zu gehen.

Die Berliner Nacht war kalt an diesem Abend. Nicht ganz so sehr wie eine Winternacht in Chicago, aber fast – ein Vergleich, der noch gefehlt hatte an diesem Abend. KARSTEN KREDEL