piwik no script img

Archiv-Artikel

Grün will Weichen stellen

Die Berliner Grünen liegen vor ihrem heutigen Parteitag in Umfragen bei 18 Prozent. Das Problem: Die nächsten Wahlen sind erst 2006. Ein Leitantrag soll schon auf das Wahlprogramm einstimmen

von STEFAN ALBERTI

Berlins Grüne könnten heute eigentlich ganz entspannt in ihren Parteitag gehen. 18 Prozent Zustimmung in den Umfragen, knapp doppelt so viel wie vor zwei Jahren bei der Abgeordnetenhauswahl. Gestiegene Mitgliederzahl. Erfolg am Landesverfassungsgericht mit der Haushaltsklage. Wäre da nicht eine warnende Erfahrung aus dem Sport: Wer schon früh in der Saison topfit ist, bricht manchmal vor dem eigentlichen Höhepunkt ein. Denn: Die nächste Wahl kommt, wenn die rot-rote Koalition nicht vorher platzt, erst 2006.

Landeschef Till Heyer-Stuffer ist Hobbyruderer und Langstreckenläufer. Und er kennt natürlich die Regeln für einen Erfolg versprechenden Saisonaufbau. „Wir müssen die gute Form stabilisieren – damit wir zur Wahl einen richtigen Endspurt hinlegen können“, sagt er. Die Kovorsitzende Almuth Tharan sieht in dem Leitantrag, der heute den rund 150 Delegierten des Parteitags vorliegt, auch eine Weichenstellung für das künftige Wahlprogramm.

Unter dem Titel „Perspektiven für Berlin!“ beschreibt der Antrag eine nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik, die das Land aus der Misere führen soll (www.gruene-berlin.de). Von Berlin müssten positive Signale ausgehen, man dürfe keine Miesepeterstimmung verbreiten, sagt Heyer-Stuffer: „Man hat manchmal den Eindruck, dass man vor lauter Bleistiftezählen nicht mehr den Blick für die ganze Stadt hat.“ Inhaltliche Belebung verspricht er sich von dem Parteitag: „Die ist in den vergangenen drei Jahren wegen der Wahlkämpfe zu kurz gekommen.“

Einer der zentralen, aber auch umstrittensten Punkte ist die Frage, ob und in welcher Form das Land weiter als Unternehmer auftreten soll. Jochen Esser, Finanzexperte der Fraktion im Abgeordnetenhaus, forderte schon bei einer Klausurtagung im Sommer ein „Ende des Milliardengrabes“. Zügig soll Berlin demnach weitgehend jene Betriebe verkaufen, die ihm komplett oder in Teilen gehören. Als abschreckendes Beispiel für staatliche Unternehmertätigkeit führen Haushaltsexperten und Fraktionschef Volker Ratzmann gerne immer wieder das Desaster der Berliner Bankgesellschaft an.

Betriebe wie die Königliche Porzellan Manufaktur zu verkaufen ist bei den Grünen wenig strittig. Anders sieht es im Bereich der Daseinsfürsorge aus: Müllabfuhr, öffentlicher Nahverkehr, Krankenhäuser, bezahlbarer Wohnraum. „Kontrolliert raus“ müsse man langfristig auch dort, forderte Fraktionschef Ratzmann bereits Ende August (siehe dazu auch das Interview).

Das rüffelte der Landesausschuss, höchstes Gremium zwischen den Parteitagen, der darüber sein „Befremden“ äußerte: Ratzmann nehme eine Diskussion vorweg, die noch geführt werde. Das sollte eigentlich in den vergangenen Wochen in den Kreisverbänden geschehen. Und Parteichef Heyer-Stuffer selbst hat „große Schwierigkeiten mit Privatisierung im Gesundheitsbereich“.

Ein weiterer Konfliktpunkt im „Perspektiven“-Antrag ist der Ausbau des Flughafens Schönefeld im Südosten der Stadt. Den mögen einige nur zähneknirschend hinnehmen und möglichst klein halten. Andere hingegen sehen in ihm einen wichtigen Standortfaktor. „Das wurde nie richtig ausdiskutiert“, sagt Parteichefin Tharan.

Auch in der Fraktion sind die Meinungen darüber geteilt. Haushaltsexperte Oliver Schruoffeneger hält Schönefeld für bedeutend für einen wirtschaftlichen Auschwung. Seine Argumentation: Berlin habe eine Exportquote von 2.600 Euro pro Einwohner, noch nicht mal ein Fünftel der Quote von Hamburg: „Das hat auch was mit Verkehrsanbindung – das betrifft Flughafen und Bahn – zu tun.“ Der Flughafen sei „sowohl objektiv wie auch vom Symbol her wichtig für die Stadt“.

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Abgeordnetenhausfraktion, Michael Cramer, sieht das anders: Die Misere der Stadt hänge nicht am Flughafen – keine Stadt der Welt sei in dieser Hinsicht besser ausgestattet als Berlin.

Trotz aller derartigen inhaltlichen Kontroversen und der noch langen Anlaufphase bis zur nächsten Wahl kommt Parteichefin Almuth Tharan bereits äußerst selbstbewusst für 2006 daher. Während es bei den Christdemokraten derzeit meist vorsichtig heißt, man wolle die SPD ablösen, ist für die Grünen-Vorsitzende schon entschieden: „Die nächste Regierung läuft nicht ohne uns.“