: Essen will gelernt sein
Immer mehr Kinder ernähren sich falsch und sind zu dick. Dass es auch anders geht und gesunde Ernährung Spaß machen kann, führt die Freie Waldorfschule in Berlin-Kreuzberg vor. Sie hat dafür sogar einen Preis bekommen
von LARS KLAASSEN
„Unser aller Ziel sind gesunde Kinder, die fit ins Leben starten. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, ihnen dafür die besten Chancen zu bieten.“ Diese schönen Worte fand Verbraucherministerin Renate Künast im Juli dieses Jahres zur Eröffnung des Kongresses „Kinder und Ernährung“ in Berlin. Die Wirklichkeit sieht leider weniger schön aus: In Deutschland ist derzeit jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche zu dick. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt bereits vor einer „Besorgnis erregenden Epidemie“. Das Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) verkündet deshalb: „Jedes Kind sollte frühzeitig lernen, kenntnisreich mit der Ernährung und dem eigenen Körper umzugehen. Hierbei geht es nicht um Schönheitsideale, sondern um Bildungsauftrag und Krankheitsprävention.“
Deshalb hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Auftrag des BMVEL dieses Jahr erstmals die Auszeichnung Bio-Star vergeben. Bei dem Wettbewerb waren kreative Ökokonzepte und engagierte Köche für die Außerhausverpflegung gefragt. Vorsitzender der Jury war der renommierte Küchenkritiker Wolfram Siebeck. Und Sieger ist: Die Freie Waldorfschule Kreuzberg aus Berlin – gekürt auf der Fachmesse Internorga in Hamburg. Seit ihrer Gründung 1985 kommen in der Schule fast nur Produkte aus ökologischem Anbau auf den Tisch. „Lediglich bei einzelnen Gewürzen oder Teesorten gibt es hin und wieder eine Ausnahme“, sagt Küchenleiterin Dorothee Brosi-Burmann. Ihr Konzept: „Wir bieten eine kohlehydratreiche Ernährung mit täglich frischem Salat und Gemüse. Der Eiweißbedarf wird vorwiegend mit Milch und Milchprodukten gedeckt.“ Ein Hof aus dem brandenburgischen Wiedmannsdorf bei Templin beliefert die Schulküche.
Rund 350 bis 400 Mahlzeiten bereiten die sieben Mitarbeiter der Schulküche jeden Tag zu. 150 Portionen davon gehen an sieben umliegende Kindergärten. Auch Lehrer und Besucher – wie etwa Eltern – essen im Speiseraum. Mahlzeiten wie Pastinaken-Möhren-Gemüse mit Nuss-Mandelsoße, Grießflammerie mit Kirschen oder Apfel-Mais-Creme gibt es täglich von 12 bis 15 Uhr.
Doch gesunde Ernährung steht an der Berliner Schule nicht nur auf dem Speisezettel, sondern auch auf dem Lehrplan. Das bewertete auch die Bio-Star-Jury sehr positiv. So wird in der 3. und von der 6. bis zur 8. Klasse Feld- und Gartenbau unterrichtet. „Dabei stehen die sinnlichen Erlebnisse der körperlichen Arbeit im Mittelpunkt“, erklärt Doris Wilke, Lehrerin an der Freien Waldorfschule Kreuzberg. Was die Schüler anbauen, essen sie anschließend auch.
In der „Ernährungsepoche“ in der 7. Klasse lernen die Kinder, wie sie sich am besten ernähren und wo das Essen herkommt. In dieser Zeit werkeln sie auch eine Woche lang in der Schulküche mit. Dabei gibt es Vorlieben: „Kartoffeln schälen macht den meisten weniger Spaß, als Salat zuzubereiten“, berichtet die Küchenleiterin. „Aber es gibt sogar Einzelne, die gerne abwaschen.“
In der 9. Klasse absolvieren die Schüler dann Praktika auf Brandenburger Biohöfen. Dort arbeiten sie zwei Wochen lang mit. Dabei geht es nicht nur ums Ernährungsbewusstsein, weiß Wilke: „Die Stallarbeiten mit Tieren sind vor allem bei den Mädchen sehr beliebt.“
Das Theorie-und-Praxis-Programm der Schule zeigt Wirkung: „Die Lehrer bemerken einen Bewusstseinswandel bei den Schülern, und auch die Eltern sind begeistert“, sagt Brosi-Burmann. „Die Schüler fassen zu Hause in der Küche selbst mit an.“
Außerdem kämen die Schüler nach der Woche in der Küche immer vollständig in den Speiseraum, um zu essen. Eine entscheidende Zutat beim Erfolgsrezept der Schule: das soziale Miteinander am Herd. Spaß muss sein. Und: Wer will, kriegt in der Schulküche auch täglich seine Pizza – aber natürlich mit Liebe gemacht und aus ökologisch angebauten Zutaten.