: Vor allem kompakt
Der Hamburger SV setzt die Erfolgsserie unter dem neuen Trainer Thomas Doll mit dem 1:1 in Bremen fort
BREMEN taz ■ Ganz am Ende, wie es einem Hauptdarsteller gebührt, verlässt Thomas Doll das Stadion. Über dem Kopf klatschend joggt er in den Spielertunnel des Weserstadions. Die Fans des Hamburger SV jubeln. Über ein 1:1 bei Werder Bremen. Doll grinst. Wie von Beginn an als verantwortlicher Übungsleiter „meines“ HSV, wie er immer wieder betont.
Das ganze Umfeld erhofft sich von der „Identifikationsfigur“ (Sportchef Dietmar Beiersdorfer) nicht weniger als die erneute Rettung ihres Vereins. So wie damals, als der Ostdeutsche 1990 von Dynamo Berlin nach Hamburg wechselte, mit seinem Trabbi vor der ehemaligen Geschäftsstelle an der edlen Rothenbaumchaussee vorfuhr und den Club einige Zeit später durch seinen Millionentransfer zu Lazio Rom vor dem finanziellen Aus bewahrte. Seit drei Spieltagen versucht der Nachfolger von Klaus Toppmöller das Team vom letzten Tabellenplatz der Liga wieder in die obere Gefilde zu führen, die den Investitionen vor der Saison entsprechen. „Wir wollen bis zur Winterpause nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben“, bemüht sich der vormalige Regionalliga-Coach um Realismus. Die Momentaufnahme nach vier Punkten aus den zwei Auswärtsspielen in Dortmund und Bremen sowie dem Sieg gegen Freiburg veranlasst ihn noch nicht dazu, den möglichen Spielraum nach oben mit verklärten Zielen vorzuformulieren. „Es braucht Zeit, bis sich eine Mannschaft findet.“
Ein Eindruck, den das so neu wie klar strukturierte HSV-Kollektiv nicht ganz teilt. Die Mannschaft bestehe nicht mehr aus „elf Einzelteilen“, sagt Raphael Wicky, der von der klaren Linie des neuen Coachs profitiert. Unter Toppmöller spielte er häufig in der Viererkette, nun ordnet er das Spiel von seinem angestammten Platz im defensiven Mittelfeld. „Wir spielen jetzt immer mit dem gleichen System“, sagt er, „und vor allem erst mal kompakt.“ Klare Positionzuteilungen im 4-4-2-System stärkten verunsicherte Spieler wie auch Khalid Boulahrouz, der vom defensiven Mittelfeld wieder in die Innenverteidigung neben den resoluten belgischen Kapitän Daniel van Buyten wechselte. Die Position, die Boulahrouz auch in der niederländischen Nationalmannschaft spielt. „An diesem Spieler werden wir und die holländische Nationalmannschaft noch viel Freude haben“, glaubt Doll. Seine Umstellungen in den zentralen Defensivpositionen („Ich habe Khalid direkt im ersten Telefonat gesagt, dass er wieder Innenverteidiger wird“) machten Bremer Angriffsbemühungen über ihren Spielmacher Johan Micoud schwerfällig.
Ein System, welches die Bremer auch am Dienstag im Champions-League-Spiel gegen Anderlecht erwartet. Bis auf die Situation in der 22. Minute blieb der französische Mittelfeldregisseur ohne Esprit: Wunderhübsch köpfte Micoud den Ball zurück in die eigene Hälfte und fand statt eines Mitspielers oder seines herauslaufenden Keepers Andreas Reinke den flinken Emile Mpenza. Dessen Solo endete mit einer Flanke auf den Kopf von David Jarolim, der zum 0:1 traf.
Anschließend gab es nur noch Bremer Tormöglichkeiten. Ein 20:2 ermittelten die Statistiker am Ende als Chancenverhältnis für den Meister. Dennoch gelang nur noch der Ausgleich. Nach 74 Minuten drosch Christian Schulz den Ball zum erlösenden 1:1 ins Netz. „Ich bin sehr, sehr traurig, dass wir nach so einem Spiel auf ein Tor nur mit einem Punkt dastehen, aber andererseits auch wahnsinnig stolz auf meine Jungs“, meint Trainer Thomas Schaaf. Sieben Stammspieler fehlen ihm derzeit verletzt. Seit Wochen formiert er daher seine Startelf neu, ohne das als Entschuldigung gelten zu lassen. Vielmehr zeigen die Bremer, dass sie die vielen Ausfälle durch starke Nachwuchsspieler wie Christian Schulz kompensieren können.
Für das Spiel gegen Anderlecht hofft Schaaf auf eine Rückkehr von Tim Borowski und Angelos Charisteas. „Das ist jetzt wirklich ein ganz wichtiges Spiel, in dem wir uns eine gute Ausgangsposition fürs Achtelfinale verschaffen können“, versucht Manager Klaus Allof die Übriggebliebenen für die Champions League zu motivieren. Auch Micoud – dann hoffentlich Vorlagengeber für Bremer Torerfolge.
OKE GÖTTLICH