MIT SEINER NEUSTEN VIDEOBOTSCHAFT UNTERSTÜTZT BIN LADEN BUSH
: Sie brauchen einander

Ussama Bin Laden ist zurück auf den Fernsehschirmen, und er erweist sich erneut als überaus berechnender, politischer Mastermind, der die Medien für seine Zwecke zu nutzen weiß. Anders als bei den Wahlen in Spanien, bei denen al-Qaida durch gut abgepasste Anschläge den Ausgang der Abstimmung zu beeinflussen wusste, spricht kurz vor den US-amerikanischen Wahlen statt der Bomben Bin Laden selbst. Auch der Hintergrund der Videobotschaft hat sich gegenüber früheren Bändern geändert: keine Höhlenlandschaft, vor allem keine Knarre, die wie beiläufig an der Wand lehnt.

Bin Ladens Botschaft allerdings dürfte – anders als in Spanien – keinen Regierungswechsel einläuten. Bestenfalls und wahrscheinlich hat das Video überhaupt keinen Einfluss auf den US-Wahlausgang. Wenn aber überhaupt, dann hat der saudische Terrorchef Präsident Bush mit seinem Auftritt einen Gefallen getan.

Nicht nur weil das pure Wiedererscheinen Bin Ladens genügend Aufmerksamkeit auf sich zieht, um wenigstens einen Moment lang von den – gerade am vergangenen Wochenende extrem schlechten – Nachrichten aus dem Irak abzulenken und die US-Amerikaner an den 11. September 2001 zu erinnern. Die Sprache und die Argumente, die Bin Laden benutzt, erinnern zudem auch mehr an Michael Moore als an al-Qaida. Nicht hasserfüllte Anwürfe eines fanatisierten Islamisten bestimmen Bin Ladens neuen Diskurs, sondern einige Argumente, die von US-Liberalen durchaus geteilt werden, wenn er die Komplizenschaft der USA mit diktatorischen arabischen Herrschern anprangert, den Patriot Act kritisiert oder gar auf Bushs seltsames Verhalten am 11. September eingeht.

Anhänger der Theorie, die Regierung der USA habe selbst hinter den Anschlägen auf New York und Washington gestanden, müssten spätestens hier laut „Fake!“ schreien. Nicht nur weil Bin Laden sich recht offen zu den Anschlägen bekennt, sondern auch wegen der so untypischen Botschaft. Welche bessere Wahlkampfhilfe für Bush kann es geben, als wenn al-Qaida die Argumente seiner innenpolitischen Gegner verkündet?

Für alle, die keiner Verschwörungstheorie anhängen, Bin Laden aber auch nicht für irgendeinen Trottel, sondern vielmehr für einen kühlen Rechner halten, lässt das Band nur einen Schluss zu: Der Al-Qaida-Chef braucht Bush, so wie der Präsident der Vereinigten Staaten seinerseits die Bedrohung durch den Terror braucht. Deshalb stützt Bin Laden Bush. Um das alles zu verstehen, muss man ungefähr zweimal um die Ecke denken. Wäre schön, wenn das US-amerikanische Wahlvolk das hinbekäme und morgen seine Konsequenzen daraus zöge. BERND PICKERT