Die Medienkrise ist auch eine Chance

Von neuen Geschäftsmodellen, Web-2.0-Plattformen und dem Journalismus im Netz

Meldungen über das Zeitungssterben in den USA erreichen einen über Blogs und Medienseiten fast im Wochentakt. Ende Februar erschien in Denver die letzte Ausgabe der Rocky Mountain News, der Seattle Post Intelligencer erscheint seit 17. März nur noch online – in der Millionenstadt erscheint seither nur noch die Seattle Times als gedruckte Tageszeitung –, auch der einzig verbliebenen Tageszeitung San Franciscos, der San Francisco Chronicle droht die Schließung. Die Begründungen: Auflagenverlust, Anzeigenkrise, Internet. Die Gewinne im Netz steigen zwar, die Los Angeles Times meldete sogar, bald ihre gesamte Redaktion aus den Werbeerlösen im Netz finanzieren zu können, allerdings steigen die Verluste im Print schneller, als es steigende Einnahmen im Netz auffangen können. Die New York Times, selbst auch vom Konkurs bedroht (vgl. taz vom 14. 2. 2009), veröffentlichte im März dazu eine Karte der USA, gespickt mit großen Kreisen, die den Auflagenverlust etlicher Zeitungstitel im ganzen Land illustrieren (www.tr.im/zeitungskarte).

Als Bedrohung der klassischen Zeitungen gilt häufig pauschal das Internet. Zeitungen publizieren im Web ihre Inhalte meistens kostenlos zugänglich; die meisten Titel in den USA wie in Deutschland bieten auch kostenlosen Archivzugriff an. Die Logik dahinter: Die Werbeeinnahmen, die bei Seitenaufrufen mit Archivtexten entstehen, sind nicht geringer als die für Werbung auf den aktuellen Seiten. Verdient wird daran mehr, als an den wenigen Nutzern, die für Archivtexte überhaupt bereit sind zu zahlen. Kritiker halten dieser kostenlosen Veröffentlichung im Netz entgegen, sie schade dem Verkauf der gedruckten Zeitung. Diese Selbstkannibalisierungsthese wird in der Branche inzwischen aber nicht mehr ernsthaft diskutiert, weil es sich kaum eine Zeitung leisten kann, im Netz nicht kostenlos zu erscheinen. Müssten die Leser im Netz etwa auf taz.de für aktuelle Artikel bezahlen, würde das Gros der Nutzer der Website fernbleiben – Werbeeinnahmen würden einbrechen, die Einnahmen durch Leser wären marginal.

Neue Geschäftsmodelle, die den Qualitätsjournalismus nachhaltig finanzieren könnten, bilden sich aber erst langsam aus. So gilt das Geschäft mit Anzeigen zwar als erfolgreich für die Marktführer im Netz – Spiegel Online etwa schreibt inzwischen schwarze Zahlen. Gleichzeitig nagen aber neue Mitbewerber am Werbekuchen, weil ihre Angebote nun auch um die Aufmerksamkeit, sprich: begrenzte Zeit der Nutzer buhlen. Social-Networking-Plattformen wie Facebook und StudiVZ etwa erreichen viel höhere Klickzahlen als die meisten journalistischen Sites, weil ihre Nutzer dort klickintensiv ihre Kontakte pflegen, sich untereinander Mitteilungen schicken oder eigene Inhalte veröffentlichen. Die Währung im Netz lautet also Aufmerksamkeit – Experten sprechen von der Awareness Economy –, und um dieses knappe Gut konkurrieren im Netz neben den Ablegern klassischer Medien auch Blogs, Social Networks und News-Aggregator-Seiten wie Google News oder Digg, wo Nutzer sich ihre News aus vielen Quellen selbst zusammenstellen können oder sich untereinander Empfehlungen aussprechen. Ein Kampf, bei dem viele Tageszeitungen bisher schlecht abschneiden, während sogenannte Web-2.0-Angebote gerade junge Intensivnutzer an sich zu binden wissen.

Dabei bezeichnet Web 2.0 keine bestimmte exklusive Technik, sondern mehr ein soziales Phänomen oder eine Herangehensweise im Umgang mit dem Medium Online. Zentral dabei: Das Web dient längst nicht mehr nur zum Veröffentlichen von „Seiten“, wie das auch im Print möglich war. Sondern es entwickelt sich zur Plattform, auf der Menschen kommunizieren, arbeiten, sich organisieren. Die Technik ist oft frei erhältlich, für Geschäftsmodelle rücken Daten in den Vordergrund. So ist Google heute erfolgreich mit seinem Service Google Maps, weil es sich frühzeitig die Daten für weltweite Satelliten- und Straßenkarten gesichert hat und darauf Suchdienste aufbaut, teils vermengt mit anderen Datenquellen (Mash-up), zum Beispiel öffentlichen Adressbüchern oder auch von Nutzern generierten Inhalten. Ein kleines Beispiel aus der taz: Beim tazkongress entwickeln wir unser Programm mithilfe einer webbasierten Freien Software (Pentabarf) und nutzen einen Webservice (Backpack), um auch am heimischen Schreibtisch untereinander zu kommunizieren, Dateien auszutauschen oder Texte kollaborativ zu schreiben, ohne in einem Wust von E-Mails unterzugehen.

Für viele Web-2.0-affine Nutzer sind solche Dienste längst selbstverständlich: Sie veröffentlichen Blogs, entweder mit Freier Software (von Entwicklern kostenlos bereitgestellt und zum Verändern freigegeben) oder kostenlos auf Plattformen, sie arbeiten in Wikis zusammen, tragen ihr Wissen aus Studium, Beruf oder Hobby in der Wiki-Enzyklopädie Wikipedia zusammen, und sie nutzen die Plattform Twitter, um in Form von 140 Zeichen langen Kurznachrichten mitzuteilen, was sie gerade bewegt, was gerade wichtig ist oder was sie gerade tun. Worin Kritiker häufig den Untergang des Abendlandes beklagen, sehen sie den Vorteil schneller unkomplizierter Kommunikation, die ähnlich informell ist wie das Gespräch in der Raucherecke, aber weltweit auf einer Web-2.0-Plattform stattfindet, bedient am PC, per SMS oder per iPhone.

Was das für den Journalismus heißt, diskutieren wir beim tazkongress besonders intensiv auf zwei Veranstaltungen am Sonntag: bei „Spot.us statt New York Times?“ um 12 Uhr die Rolle neuer Geschäftsmodelle und Angebote für die Sicherung von Qualitätsjournalismus, bei „Die taz von morgen – und für die nächsten 30 Jahre“ um 10.30 Uhr, wie die taz sich darauf einstellen kann, soll, will. Wir hoffen auf eine spannende Diskussion mit Vertretern aller Richtungen und Generationen. JMI