Wahlkampfhilfe für Bush

aus WASHINGTON BERND PICKERT

Nur vier Tage vor den Präsidentschaftswahlen ist Ussama Bin Laden am Freitagabend wieder auf den US-amerikanischen Fernsehschirmen aufgetaucht. Aber nicht, wie durchaus viele, einschließlich der First Lady in spe Theresa Heinz Kerry, gemutmaßt hatten, tot oder in Handschellen, um so Präsident George W. Bush zu einem ultimativen Erfolg zu verhelfen, sondern bei bester Gesundheit mit einer Ansprache an die US-Amerikaner. Das Band war auf dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira ausgestrahlt worden. Der Sender hatte der US-Regierung vorab eine Kopie zur Verfügung gestellt, die Bitte der USA, die Aufnahmen nicht auszustrahlen, aber zurückgewiesen.

„Amerikaner, ich spreche zu euch über den idealen Weg, ein zweites Manhattan zu verhindern“, sagte Bin Laden. Die Sicherheit der US-Amerikaner, so führte Bin Laden aus, liege weder in der Hand von Bush, Kerry oder al-Qaida, sondern allein an ihnen selbst: „Wer uns nicht angreift, dessen Sicherheit ist garantiert.“ Bin Laden drohte nicht unmittelbar mit neuen Anschlägen, sondern verhöhnte vor allem Präsident Bush.

Dessen Verhalten zur Stunde der Anschläge, als Bush minutenlang weiter vor einer Schulklasse in Florida Kindergeschichten anhörte, habe dem Al-Qaida-Kommando wesentliche Spielräume gegeben, die Operation zu Ende zu bringen: „Es erschien ihm [Bush] wichtiger, weiter die Geschichte eines kleinen Mädchens über die Kopfstöße ihre Ziege anzuhören als die Stöße Flugzeuge auf die Wolkenkratzer. Das gab uns, Gott sei Dank, dreimal so viel Zeit, wie wir brauchten, um die Operationen durchzuführen“, sagte Bin Laden in einer Ansprache, die durchaus von Michael Moores Film „Fahrenheit 9/11“ inspiriert schien. Auch die engen Verbindungen der Familie Bush mit dem saudischen Königshaus ließ Bin Laden nicht unerwähnt. Das Band wurde allgemein als erstes offenes Bekenntnis Bin Ladens interpretiert, tatsächlich die Anschläge des 11. September 2001 geplant zu haben. Die Reaktion der beiden Präsidentschaftskandidaten auf diesen offensichtlichen Versuch Bin Ladens, sich ins US-Wahlgeschehen einzumischen, ließ nicht lange auf sich warten: Beide unterbrachen ihre Wahlkampftouren für kurze Stellungnahmen.

„Die Amerikaner werden sich nicht von einem Feind unseres Landes einschüchtern oder beeinflussen lassen. Wir sind im Krieg gegen diese Terroristen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir bestehen werden“, sagte Bush und schickte voraus, dass er sicher sei, dass Kerry mit ihm darin übereinstimme. Das tat der demokratische Kandidat auch und sagte seinerseits in einer Wortwahl, die er direkt von früheren Äußerungen Bushs übernommen zu haben schien: Die Terroristen „sind Barbaren. Ich werde vor nichts Halt machen, um die Terroristen zu jagen, dingfest zu machen oder zu töten, was auch immer es koste“.

Dennoch konnten beide Seiten der Versuchung nicht wirklich widerstehen, einerseits aus der Existenz des Bandes politisches Kapital zu schlagen und gleichzeitig der Gegenseite ebendies vorzuwerfen. Schon bei seinem nächsten Wahlkampfauftritt rückte Kerry einen seiner schon in den Fernsehdebatten immer wiederholten Vorwürfe in den Mittelpunkt, die Bush-Regierung habe es versäumt, Bin Laden seinerzeit im afghanischen Tora Bora zu fangen oder zu töten. Bush nannte die Vorwürfe „schändlich“, Vizepräsident Dick Cheney sprach von einer „Erinnerung daran, dass wir uns im Krieg gegen den Terror befinden“. Über die Frage, ob oder wie das Video den Ausgang der Präsidentschaftswahlen am morgigen Dienstag beeinflussen könnte, waren sich die von den US-amerikanischen Medien sofort befragten Experten und Meinungsträger uneins. Allerdings glaubt eine Mehrheit der Befragten, das Video nutze eher Bush als Kerry. Immerhin erlaube Bin Ladens Botschaft, die Aufmerksamkeit von den weiterhin eintreffenden schlechten Nachrichten aus dem Irak abzulenken, und erinnere die Bevölkerung wieder an den 11. September 2001 – etwas, das vor allem Bush in seinem gesamten Wahlkampf schier unermüdlich getan hat.

Bin Ladens Band ist die zweite Botschaft islamistischer Terroristen an die USA innerhalb der letzten Woche vor der Präsidentschaftswahl. Bereits Anfang letzter Woche war ein Video aufgetaucht, indem ein vermummter Mann auf Englisch vor einem „Blutbad in Amerikas Straßen“ gewarnt hatte. Die US-Sicherheitsbehörden vermochten in beiden Botschaften keine direkten Warnungen vor bevorstehenden Anschlägen zu erkennen. Der Chef der Heimatschutzbehörde, Tom Ridge, sagte dem Fernsehsender NBC, es gebe keine Hinweise auf etwa geplante Anschläge auf Wahllokale oder ähnliche Orte. Die Terror-Alarmstufe wurde nicht angehoben, wenngleich der US-Küstenschutz und die Kontrolle einlaufender Containerschiffe nochmals verstärkt wurden.