: Ödipus in Übersee
Kaum dort, verlieben sich Kinder in die USA. Was tun?
„Fußball“, hat der englische Nationalspieler Gary Lineker mal gesagt, „ist ein Spiel mit 22 Mann, und am Ende gewinnen die Deutschen.“ Internationale Politik, würde ich sagen, ist ein Spielfeld mit hunderten von Staaten, und am Ende bestimmen die USA. Sie schicken Soldaten, wohin sie wollen. Sie dominieren das Bücherregal meiner Kinder. Sie schaffen es, dass auch bei uns inzwischen jeder Kürbiskopf im Herbst „Hallo, Wien!“ feiert. Und sie bringen es so weit, dass ihre Sprache bereits im Kindergarten unterrichtet wird. Das ist echte kulturelle Dominanz. Dachte ich jedenfalls. Dann kam mein Sohn nach New York. Und der US-amerikanische Kulturimperialismus zerbröselte vor meinen Augen. Vor allem an der Sprache.
Nachbarsohn Max hatte einen ferngesteuerten Panzer. Jonas requirierte ihn ganz souverän: „Max, kann ich mal mit dem Panzer spielen?“
„No, you cannot have the tank!“
„Super, guck mal, wie der von allein fährt.“
„That is my tank.“
„So kann man prima spielen.“
Ganz ähnlich ging es all den anderen amerikanischen Kindern, die kein Deutsch konnten. David sah seine Eidechse auf einem Lego-Boot in der Badewanne davonsegeln. Dem ehrwürdigen Greis im Zoo („Hallo, Freund!“) erklärte Jonas in bestem Hochdeutsch, wo und wie sich die Weißschwanzgibbons versteckten. Und die Kids im Park mussten sich beim Soccer die taktischen Anweisungen aus Germany anhören.
Und wirklich ist New York ein Kinderparadies. Die Menschen freundlich zum Nachwuchs, die Kindermuseen interessant und die interessanten Museen kindgerecht. In den Restaurants standen Kinderstühle, auf den Klos gab es Pinkelbecken für kurze Beine. „Na klar, ist das Land kinderfreundlich“, sagte meine Frau Anna nach unserer Rückkehr. „Es ist ja ein einziges Kinderland.“
Wie bitte?
„Ehrlich“, sagte meine angeheiratete Hobby-Ethnologin. „Die USA erinnern mich immer an ein hoch talentiertes, verwöhntes Kind, das man mit Begeisterung und Befremden sieht.“
In Stereotypen heißt das: „Die Amerikaner“ sind offenherzig und begeistert für neue Menschen und neue Ideen. Sie lieben den großen Auftritt, die Show, den Glamour. Sie begeistern sich für Technik, hohe Häuser und Mondraketen. Sie haben einen Hang zur privaten und staatlichen Brutalität. Sie lieben Pommes und Pizza. Sie fahren gern dicke Autos. Sie lieben Sportarten, in denen es kracht. Sie bauen gigantische Spielzeugläden. Sie lieben es, politisch aufsässig zu sein, und gleichzeitig sehnen sie sich nach der Wärme des Mainstreams. Sie brauchen eine klare Grenze zwischen Gut und Böse. Was ist das? Genau: Die Welt, wie ein fünfjähriger Junge sie sich wünscht. Deshalb fühlte Jonas sich so wohl.
Meine Rolle dabei war dann auch schnell klar: In diesem paternalistischen Politikszenario stellte ich die Vergangenheit („Old Europe“). Mein Kind war über den Atlantik gezogen, um sich hier seine Fantasien zu verwirklichen. Und mit ihrer Dynamik begeistert diese Neue Welt auch noch den Rest der Menschheit so sehr, dass Millionen Immigranten in diesem Abenteuerland mitspielen wollten. Ab und zu denken die Mutter- und Vaterländer, dass man den amerikanischen Flegel zu abendländischer Kultur erziehen müsse. Aber Erziehung geht eben fast immer schief.
Eine Tragik von ödipalen Ausmaßen. Wie geht man mit solchen Kindern um?
Viel Liebe und Verständnis zeigen. (Also weiterhin BigMäc essen und Springsteen hören).
Grenzen aufzeigen (also ruhig mal einen kleinen Handelskrieg vom Zaun brechen). Ansonsten beten und hoffen.
Und dann sah ich am vorletzten Tag unseres Besuchs dieses Erziehungsbuch mit dem Titel „Liebe mich am meisten, wenn ich es dir am schwersten mache.“ Was wollte mir die Bush-Administration damit sagen? Sollen wir unseren Verwandten in Übersee wirklich dann am meisten entgegenkommen, wenn sie am schlimmsten nerven? Manchmal, haben mir erfahrene Eltern bestätigt, hilft in so einem Fall nur noch eines.
Eine kalte Dusche.