: Zuckerburg bröckelt
Die deutschen Rübernbauern sollen künftig weniger Subventionen erhalten – so plant es die EU-Kommission
BONN taz ■ Das süße Leben für Rübenbarone und Zuckerindustrie in Deutschland hat bald ein Ende – zumindest wenn es nach dem Willen der EU-Kommission geht. EU-Agrarkommissar Franz Fischler will die europäische Zuckermarktordnung reformieren und verdeckten Subventionen und Protektionismus den Kampf ansagen: Statt garantierter Höchstpreise, die das Weltmarktniveau um das drei- bis vierfache übersteigen, Quotenregelungen und Importbeschränkungen soll sich auch der Zuckersektor den Gesetzen des Marktes unterwerfen. Mit einem ersten vorläufigen Entwurf beschäftigten sich gestern die Europäischen Agrarminister in Brüssel.
Dass die von vielen als mittelalterlich kritisierte EU-Zuckermarktordnung von 1968 dringend reformiert werden muss, konstatieren nicht nur EU-Kommission und Süßwarenhersteller. Auch Zuckerproduzenten anderer Länder sehen nicht ein, warum sie durch Handelsbeschränkungen – etwa 140 Prozent Einfuhrzoll auf afrikanischen Zucker – schlechter gestellt werden als einheimische Rübenbauern. Gegen die künstliche Schieflage protestieren bereits seit Jahren Entwicklungshilfeorganisationen wie Oxfam und Fian und fordern einen besseren Marktzugang für Entwicklungsländer, vor allem für die 49 ärmsten Staaten der Welt.
Auch die Verbraucher in Europa würden von der Abschaffung der Verordnung profitieren, berappen sie doch jedes Jahr laut europäischem Rechnungshof rund 6,3 Milliarden Euro zu viel für das Grundnahrungsmittel. Und spätestens seit der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens bei der WTO durch Brasilien, Australien und Thailand hat auch die Zuckerwirtschaft erkannt, dass die Zuckerburg Europa im Zuge der Globalisierung in der heutigen Form nicht zu halten ist.
Von Einigkeit auf ganzer Linie kann angesichts des EU-Vorschlags dennoch keine Rede sein. In seinem vorgelegten Papier rückt Agrarreformer Fischler stillschweigend von dem bis dato propagierten bevorzugten Marktzugang für die ärmsten Länder ab. Nicht mehr Sonderkonditionen für die Ärmsten der Welt, wie sie auch Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) unterstützt, sind damit Ziel der Kommission, sondern der WTO-gerechte, unterschiedslos freie Marktzugang für alle. Das könnte auch ein Grund sein, warum vor allem die zuständige Agrarministerin Renate Künast (Grüne) Bedenken anmelden wird.
Freuen werden sich hingegen einige wenige Staaten wie Brasilien, in deren expandierender, hoch intensiver Zuckerindustrie von der Einhaltung von Sozialstandards und ökologischen Richtlinien kaum die Rede sein kann. Europäische Zuckerproduzenten werden zwar so ihre Privilegien verlieren, das Gros der Entwicklungsländer geht dabei aber weiterhin leer aus, kritisieren Entwicklungsorganisationen und Zuckerindustrie in ungewohnter Übereinstimmung.
So bleibt auch der Appell von Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner, die Interessen der EU und der 49 ärmsten Länder zusammenzuführen, wohl ungehört. Brasilien hingegen kann als Gast seine Interessen direkt auf Tagungen der EU-Agrarminister vertreten, wie bereits am Wochenende im italienischen Taormina. Der italienische Präsident des Agrarrates, Giovanni Alemanno, will den deutschen Bauern wie auch den Entwicklungsländer nun erklären, welche Vorteile ihnen die Vorschläge der EU bringen könnten. Im Januar 2004 will Brüssel dann den endgültigen Entwurf der Zuckermarktordnung vorlegen.
MONA GROSCHE