: Die Lust am Kontrast
Die Prinzessin hat einen Namen, der sie bindet und einen Beruf, der sie entgrenzt. Ein Atelierbesuch bei Malerin Ingeborg zu Schleswig-Holstein
VON MAXIMILIAN PROBST
In ihrem weiten Atelier, im Reich ihrer leuchtenden Kunst, thront sie mit der Würde wahrhaft königlicher Hoheit. Ein mildes Lächeln liegt auf ihren Lippen und ihre blauen Augen, die durchaus stechen können, schimmern selbstvergessen wie die Costa Smeralda. Ach, der geliehene Schein der Kunst, der schöne! Das wahre Leben: Es sieht anders aus. Da schrumpft die majestätische Malerin – zur Prinzessin. Genauer gesagt: Zu Ingeborg Prinzessin zu Schleswig-Holstein, die mit einem BMW-Cabriolet vorfährt, das im Nummernschild die Familieninitialen SH führt.
Sie hängt, so scheint’s, an diesem Namen, trägt ihn vor sich her. Und ist zugleich immer auf der Flucht vor ihm, sucht seine größtmöglichste Ferne. Sinnbildlich bringt ihre Kunst – zurzeit in Hamburg-Harburg, in der Sammlung Falckenberg ausgestellt – dieses Paradox auf den Punkt.
Ingeborg zu Schleswig-Holstein malt ausschließlich abstrakte Farbkompositionen, am liebsten im Großformat. „Ich will mit meinen Bildern nichts erzählen. Mir geht es darum, was hinter aller Erzählung liegt“, sagt sie. „Um den Code allen Seins, um Grundsubstanz, um eternal truth, wie man auf Englisch sagen würde.“ Um Transzendenz zu deutsch, und das ist, wenn man so will, das glatte Gegenteil von Genealogie. Und doch, und doch... Hat Ingeborg zu Schlewig-Holstein nicht eine auffällige Vorliebe für die Farben Blau, Weiß und Rot? Mehrmals hat sie dieses Trio ausgerechnet mit der Pathosformel des Triptychons gebannt. Und wie heißt es doch gleich? „Blau ist das Meer, weiß ist der Strand, rot sind die Felsen von Helgoland.“ Richtig, das sind die schleswig-holsteinischen Landesfarben. Blau ist auch ihre Jeans, weiß die Bluse, rot sind ihre Ballerina-Schuhe.
Das Gegensätzliche und die Lust daran. Vielleicht wird das der Rahmen, mit dem sich Ingeborg zu Schleswig-Holstein dereinst in die Ahnengalerie reiht. Aufgewachsen ist die heute 52-Jährige in Bienebeck, „das ist ein Landgut“, erklärt sie. In the middle of nowhere. Das nächste Dorf ist ein paar Kilometer entfernt, irgendwann kommt Kiel. Zur Schule geht es über Feldwege. Mal mit dem Fahrrad, mal mit dem Pony. „Zeitlich hat das keinen Unterschied gemacht.“ Klassenräume gab es im Schulgebäude nur zwei, in einem wurden die die Klassen eins bis vier unterrichtet, im anderen die von fünf bis neun. „Gemeinsames Lernen, das hätte Frau Goetsch sicherlich gefallen“, sagt sie schmunzelnd.
Kaum aber hat Ingeborg zu Schleswig-Holstein Bullerbü-Kindheit und behütete Jugend im Internat Louisenlund hinter sich, verschlägt es sie nach New York. Es gibt Fotos von ihr, da ist sie keine 25 Jahre alt, lächelt still und gespannt in sich hinein, mit niedergeschlagenen Augen. Wer aber beugt sich zu ihr hin und klopft mit dem Zeigefinger auf den Tisch? Andy Warhol.
Vier Jahre mitten in Manhattan und mittendrin in der Kunstszene. Anfang der 1980er Jahre sei das gewesen und „New York at its best“ erinnert sich zu Schleswig-Holstein. „Jetzt, wo ich es erzähle, klingt’s lustig“, sagt sie, „aber das waren auch toughe Jahre“. Wie jetzt, tough? Würde man gerne wissen, weil natürlich der Film im Kopf abläuft: Drogen, Partys, Kuddelmuddel der Gefühle. „Supertough“, sagt sie – und legt damit den superdiskreten Charme der Aristokratie an den Tag. Auch nicht schlecht.
Soviel lässt sich immerhin in Erfahrung bringen: Sie lernte Warhol in einer Düsseldorfer Galerie kennen. Der stellte dort zusammen mit Beuys unter dem Titel „Kunst = Kapital“ aus. „Das war ein tagelanges Happening“, sagt zu Schleswig-Holstein. „Im einen Raum saß Beuys und redetet ununterbrochen. Im anderen saß Warhol und schwieg ununterbrochen. So war Warhol, sagte nur Sachen wie yeah, great, oder really – und brachte damit andere in seiner Gegenwart dazu, sich um Kopf und Kragen zu reden.“
Das ein oder andere Gehaltvolle hat der Meister aber dann doch gesagt. Etwa, ob zu Schleswig-Holstein, die damals in Hamburg Illustration studierte, nicht in seiner „Factory“ als Assistentin arbeiten wolle. „Haha, dachte ich zuerst“, sagt die Prinzessin. Aber Warhol habe immer wieder damit angefangen. In der Factory hat sie mit zwei weiteren Assistenten zwei Jahre in der Bildproduktion gearbeitet, Leinwände gespannt, grundiert, gemalt. Warhol war immer in der Nähe, und verbesserte mal hier, mal dort. Kunst als Massenproduktion, von der Hand des Meisters veredelt. Und um den Gedanken der Reproduzierbarkeit nochmals zu unterstreichen, erinnert sich zu Schleswig-Holstein, „musste jeder sich mindestens zwei Portraits bestellen. Das Eine und Einzige, Authentizität, das gab es bei Warhol nicht“. So konnte Warhol zu Interviews auch seine Assistenten mitnehmen und für ihn antworten lassen. „Das haben wir schnell gelernt“, sagt zu Schleswig-Holstein. „War auch nicht viel falsch zu machen, da Warhol meinte, any press is good press.“
Zurück in Hamburg übernahm sie einen Auftrag an der Katharinenkirche: zwei Jahre arbeitete sie daran, die Blindfenster der zerstörten Kirche auszumalen, den Innenraum mit hoffnungsfrohen Farben zu kontrastieren. Sie hat dann öfter für Kirchen gearbeitet, auf Mallorca hat sie eine ganze Kapelle ausgemalt. Ein bisschen wie Mark Rothko. „Der spielt schon eine Rolle in meinem Leben“, sagt zu Schleswig-Holstein. Sie teilt mit ihm die Vorliebe für Bilderzyklen, für Variationen auf ein Thema.
In ihrem Atelier lehnt gerade so ein Zyklus an der Wand: sechs Bilder, einander zum Verwechseln ähnlich in Komposition und Farbe. „Jedes Bild muss aber am Ende auch für sich selbst stehen können“, sagt zu Schleswig-Holstein und es sieht so aus, als ob sie damit genau die Mitte anpeilte zwischen Massenkultur und Aristokratie, zwischen dem Warhol’schen Reproduktionsverfahren und einer, wie soll man sagen, familiären Verbundenheit mit der Idee des ganz Besonderen. Denn Adel verpflichtet. Wenn auch nur halbwegs, in der freiheitsliebenden Kunst.
Sammlung Falckenberg, bis zum 10. Mai, Wilstorfer Straße 71, Tor 2, 21073 Hamburg - Harburg. Anmeldung erforderlich: 040 - 325 067 62 / besuch@sammlung-falckenberg.de