Dämmerstunde in Darfur


AUS MUHAJIRIA ILONA EVELEENS

Die Rebellenfahne hat grüne, blaue und gelbe Streifen. Schlaff hängt sie am Mast neben dem Hauptquartier der „Sudan Liberation Army“ (SLA) in Muhajiria. Zwei Kämpfer schlafen darunter auf einer Matte im Schatten. Eine träge Ruhe herrscht in dem Dorf in der Provinz Süddarfur, rund 90 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt Nyala. Und doch ist Muhajiria eine Bastion der größten Rebellenbewegung von Darfur.

Die SLA-Kämpfer sehen aus wie Rebellen überall in Afrika: Spiegelbrille, hautenges T-Shirt, das die Muskeln betont. Doch diese hier schmücken sich nicht mit Munitionsketten, sondern mit Hijabs: Lederbeuteln mit Koranversen drin. Amir Basher glaubt, dass sie ihm Mut schenken. Und den kann er gebrauchen. „Ich habe zur Waffe gegriffen, weil die Regierung nie etwas tut für normale Menschen in Darfur“, erklärt der 34-Jährige. „Keine Entwicklung, kein Unterricht, keine medizinische Versorgung. Die Janjaweed aber bekommen alles.“

Als Basher seinen gelben Turban abnimmt, kommt eine Rastafrisur zum Vorschein. „Die ersten Kämpfer der SLA lebten lange Zeit im Jebel Marra, ein Bergmassiv in der Mitte von Darfur“, erklärt er. „Sie waren umkreist und konnten nicht zum Friseur, also bekamen sie Rastahaare. Wir folgen diesem Beispiel.“

„Wir zwingen keinen“

Kommandant Hassan Saleh hat dennoch kurz geschnittene Haare und einen sorgfältig modellierten Schnurrbart. Der stellvertretende Rebellenkommandant der Region sitzt im Schneidersitz auf einem roten Teppich vor seiner Haustür und ist stolz auf seine Truppe. Die SLA habe zwar keine großen Kampfgruppen, aber sie sei sehr effizient. „In Gebieten, die wir unter Kontrolle haben, machen wir momentan eine Rekrutierungskampagne“, berichtet er. „Aber wir zwingen keinen, weil es wichtig ist, dass die Bevölkerung auf unserer Seite ist.“

Die Beschuldigung der Regierung, die Rebellen würden sich in den Dörfern verstecken, weswegen die Regierung die Dörfer eben bombardieren müsse, weist der Kommandant weit von sich. Es gebe kaum Rebellen in Muhajiria, betont Saleh. „Die meisten sind außerhalb stationiert, in den Feldern. Es ist nicht unsere Taktik, uns einzugraben, wir bevorzugen schnelle mobile Einheiten.“

Mit dieser Art mobiler Kriegsführung soll auch der Sieg errungen werden, wenn die Friedensgespräche nichts bringen. „Dann müssen wir von Dorf nach Dorf ostwärts ziehen, bis in die Hauptstadt Khartum. Wir sind imstande, diese Regierung zu stürzen.“

Beobachter der Afrikanischen Union (AU) beschuldigen beide Seiten im Konflikt – sowohl die Janjaweed-Milizen, die Vorhut der Regierung, als auch die Rebellen. Der UN-Sondergesandte Jan Pronk hat die Rebellen vor kurzem für einen Großteil der Waffenstillstandsverletzungen verantwortlich gemacht. Die Rebellen bestreiten das nicht immer.

So wurde zum Beispiel Anfang Oktober ein Angriff auf Gibash gemeldet. Da der Ort gar nicht in Darfur liegt, sondern 50 Kilometer tief in der Provinz Westkordofan, schürte der Überfall die Sorge, der Konflikt könne sich ausweiten. „Das waren nicht wir, sondern die Janjaweed“, behauptet zumindest Kommandant Saleh. Zanun Tygiani Ahmed vom politischen Flügel der SLA gibt dagegen offen zu: „Wir halten uns an die Waffenruhe, aber wir mussten Gibash einnehmen, weil uns die Janjaweed von da aus angreifen könnten.“

Zanun Tygiani Ahmed ist ein Überläufer. Bis zu seiner Pensionierung war er Oberstleutnant in der Armee. An einem Baum neben seiner Unterkunft hängt eine Militärkarte. Mit seinem Spazierstock deutet der alte Mann darauf an, welche Gebiete die SLA kontrolliert, welche die Janjaweed. Und mit einer Stimme, die noch Straßen weiter zu hören sein muss, erzählt Zanun Tygiani Ahmed dann, dass er die paramilitärischen „Volksverteidigungskräfte“ (PDF) in Darfur gegründet habe – „also eigentlich ein Vorläufer der Janjaweed“, wie er präzisiert. „Ich war bei der Geburt unserer Feinde dabei. Darum weiß ich auch, dass die Janjaweed Söldner sind.“ In dieser Region würden sie sich vor allem aus den Reizegat-Nomaden rekrutieren. „Und die wurden von der Regierung schon im Krieg gegen den Südsudan eingesetzt.“

„Weil keiner auf mich hörte“

Jetzt kämpfen sie eben in Darfur – gegen die Rebellen von der SLA und die ihrer Schwesterbewegung JEM (Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit), die sich weiter nördlich aufhalten. Beide Gruppen rekrutieren ihre Kämpfer vor allem aus den afrikanischstämmigen Völkern der Fur, Zaghawa und Massalit, die ständig Zielscheibe von Angriffen der arabischstämmigen Janjaweed-Milizen sind. Aber „afrikanisch“ und „arabisch“, „schwarz“ und „weiß“ trifft die Realität nicht wirklich.

Zanun Tygiani Ahmed ist zum Beispiel arabischer Herkunft, geboren im Norden von Sudan. Er hatte seine eigenen Gründe, sich den Rebellen anzuschließen: „In meiner Armeezeit in der Region hatte ich bemerkt, wie schlimm es war“, donnert er quer durch seinen Garten. Nach seiner Pensionierung habe er darum beschlossen, etwas gegen die Menschenrechtsverletzungen in Darfur zu unternehmen. „Weil keiner auf mich hörte, schloss ich mich der SLA an“, erzählt er. „Der bewaffnete Kampf ist eben der kürzeste Weg, Aufmerksamkeit zu bekommen.“

Das Beispiel der Südsudan-Rebellen vor Augen, die nach 20 Jahren Krieg der Regierung das Versprechen auf Autonomie abgerungen hatten, begannen 2003 auch die Rebellen von Darfur den Krieg. Um die unerwartet erfolgreichen Rebellen niederzukämpfen, setzte die Armee Milizen ein – die Janjaweed. Sie behaupteten, die afrikanischen Völker würden den Arabern Land und Wasserstellen in Darfur wegnehmen wollen. Also begannen sie die afrikanischen Volksgruppen zu vertreiben. Das Flüchtlingsdrama nahm seinen Lauf.

„So geht es nicht weiter“, brüllt Hassan Adam. „Wir brauchen unbedingt Essen. Der nächste Laster mit Hilfsgütern, der vorbeikommt, wird mit Gewalt angehalten und leer geräumt.“ Der Mann ist einer der traditionellen Führer des Dorfes Isma, 30 Kilometer östlich von Nyala, am Rande des SLA-Rebellengebiets. Auf Strohmatten im Schatten eines Baumes halten Hassan Adam und Kollegen eine Sitzung ab. Ein paar Rebellen setzen sich dazu. Ein Kämpfer sagt zornig: „Wir werden ihnen bei ihrer Aktion helfen. Nach dem letzten Angriff auf Bashom, ein Dorf zwei Kilometer nördlich, sind wieder viele Menschen hierher vertrieben worden. Die Leute von Isma können aber ihr bisschen Essen nicht länger mit den Opfern teilen.“

Hilfe von außen gibt es in Isma nicht. Eine norwegische Hilfsorganisation hat dem UN-Welternährungsprogramm WFP angeboten, Lebensmittel zu verteilen. Aber die UN-Organisation sagt, es gebe nicht genug Vorräte. Und so winkt der spindeldürre Isam Mohamedin Ramadan vergebens mit seiner roten Lebensmittelkarte. Im August musste der 70-Jährige aus seinem Dorf fliehen. Die Leichen von 21 Angehörigen ließ er zurück. Am 26. September bekam er seine Registrierungskarte. Aber eine Hilfsration hat er bis heute nicht gesehen.

„Ich gehe jeden Tag ins Lager, nicht weit von hier, und gucke, ob Essen angekommen ist“, erzählt er. „Noch teilen wir die Nahrung mit der Familie meines Neffen, der hier wohnt. Aber in seiner Vorratsscheune kann man langsam schon den Boden sehen.“ Der alte Mann hat sich aus Ästen und Tüten eine wacklige Hütte gebaut, die gegen das Haus seines Neffen lehnt. Obwohl etwa 20.000 Flüchtlinge in diesem Gebiet vermutet werden, gibt es noch keine richtigen Lager.

Drei Hilfsorganisationen sind in diesem Gebiet tätig. Ärzte ohne Grenzen ist eine davon. Sie hat ein Ernährungszentrum für Kleinkinder errichtet. Vincent Hoedt, der Leiter in Darfur, hat bei allem Elend auch etwas Positives festgestellt. „Die Menschen hier haben weniger Angst als anderswo in Darfur. Sie gehen ruhig Wasser und Holz holen.“ In vielen Lagern Darfurs ist diese Arbeit sehr riskant, weil die Frauen dabei oft von Janjaweed-Milizen überfallen und vergewaltigt werden. Würden Männer die Arbeit übernehmen, liefen sie Gefahr, sofort ermordet zu werden.

„Dann gibt es Streit“

Im Rebellengebiet ist das Zusammenleben friedlicher. Afrikanische und arabische Stämme leben hier friedlich miteinander. Noch. Abdallah Omar ist einer der lokalen arabisierten Scheichs, er macht sich ernsthaft Sorgen. „Für die Hirtenvölker beginnt jetzt nach der Regenzeit, die Wandersaison“, erklärt er. „Auf der Suche nach Wasser und Gras für ihre Herden ziehen sie bald weiter nach Süden. Die Janjaweed könnten versuchen, sich solchen Zügen anzuschließen und daraus Angriffe zu starten. Die Rebellen könnten daher versuchen, die Wanderung der Hirten zu unterbinden. Und dann gibt es Streit.“

Der grauhaarige Scheich ist ein reicher Mann. Er besitzt Land, viele Tiere und vier Frauen. Umkreist von einer großen Gruppe männlicher Familienmitglieder sitzt er auf bunten Teppichen auf seinem Hof. Die Sonne sinkt Richtung Horizont, die Anwesenden schauen unruhig auf ihre Uhren. Es ist Ramadan. Um zehn nach sieben meldet der Imam im Radio, dass die Fastenzeit für heute vorbei ist. Gierig und erleichtert nehmen die Männer ihren ersten Schluck Wasser des Tages.

„Allah gab uns den Ramadan, damit wir erfahren, was Menschen durchmachen müssen, wenn sie Hunger und Durst leiden“, sagt der Scheich. „In diesem Jahr ist die Erfahrung reeller als sonst, weil nur wenige Kilometer von hier Menschen leben, die auch nach Sonnenuntergang nichts zu essen oder zu trinken haben.“