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Geschlossene Arbeitsgesellschaft

Die Arbeitslosenquote bleibt hoch, das Sozialforum Ruhr schloss deshalb symbolisch die Agentur für Arbeit in Gelsenkirchen. Der Agenturchef glaubt an die Marktdynamik und tut nur seine Pflicht

AUS GELSENKIRCHENMANFRED WIECZOREK

Gestern blieb die Agentur für Arbeit in Gelsenkirchen geschlossen – symbolische 45 Minuten lang. Die Schließung war Teil einer bundesweiten Aktionswoche, mit der zu einer Demonstration bei der Bundesagentur in Nürnberg am Samstag mobilisiert wird.

Etwa 40 Mitglieder des ‚Sozialforums Ruhrgebiet‘ blockierten mit Umzugskartons und Flatterband den Agentur-Eingang. Auf dem Vordach postierten sich DemonstrantInnen mit einem Transparent. Die BesucherInnen wurden zum Seiteneingang geleitet. „Wir wollen nicht, dass jemand Ärger mit der Behörde bekommt“, sagte Sozialforumssprecher Dirk Weber, doch der Aktionstag müsse sein: „Heute ist wieder die rituelle Verkündung der neuesten Arbeitsmarktzahlen“ (siehe Kasten).

Vor den Türen des einstigen Arbeitsamtes stand das Arbeitslosengeld II in der Kritik: Die Leistungen würden an die Armutsgrenze gedrückt, mit Hartz IV werde eine „Verfolgungsbetreuung“ zum Leitbild: Arbeitslose würden „ausgeschnüffelt“. Eine Arbeitsvermittlung oder Qualifizierung finde nicht mehr statt. „Diese Arbeitsagentur hat keine Existenzberechtigung und sollte geschlossen werden“, so der Mann am Megafon.

Viele „KundInnen“ teilten die Kritik, doch die Forderungen des Sozialforums seien zu radikal. Ein Pendeln zwischen Qualifizierung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Arbeitslosigkeit – das sei seine Arbeitsbiografie, erklärte jemand, ohne seinen Namen zu nennen: „Ich will keinen Ärger riskieren. Wenn kein Wunder geschieht, schlägt Hartz auch bei mir zu.“

Die MitarbeiterInnen zeigten weniger Verständnis. Sie versuchten, die Kartons aus dem Eingang zu räumen, ihr Chef eilte zum Streifenwagen. Die Sicherheit der DemonstrantInnen auf dem Vordach sei gefährdet, die Arbeit der Arbeitsagentur werde eingeschränkt, so Agenturleiter Klaus Buchholz. Also wurde das Vordach geräumt und Buchholz in eine Diskussion verwickelt.

Auch wenn Hartz IV verunsichere, sei der Arbeitsmarkt dynamisch: „Zurzeit können wir 3.000 neuen Arbeitslosenmeldungen 3.000 Vermittlungen entgegenstellen.“ Rund 1.750 Menschen hätten sich selbständig gemacht, 4.000 würden qualifiziert.

Erst die Kritik an künftig eingeschränkten Zuverdienstmöglichkeiten brachte Buchholz ins Schwimmen: Er könne sich nicht vorstellen, dass die Zuverdienstmöglichkeiten verschlechtert werden, sagte Buchholz, und zog einen Experten zu Rate. Doch auch der konnte ihm nicht helfen: „Bei der Annahme von 400-Euro-Jobs werden künftig rund 105 Euro abgezogen, bislang 35 Euro.“ Sei‘s drum, konstatierte Buchholz, man habe das Gesetz nicht gemacht, habe es jetzt aber umzusetzen.

Agenturchef und Aktivisten gingen auseinander, vorerst. Beim Abzug skandierten die Demonstranten „Heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder, keine Frage“ – am 3. Januar ist es so weit. Zum Start von Hartz IV ist wieder ein „Agenturschluss“ geplant.

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