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: HELMUT HÖGE über die nächste Sibirienoffensive

Auch das Kapital überspringt nun den Ural

Nachdem der Gouverneur der Oblast Swerdlowsk, Eduard Rossel, von Berlin aus alle arbeitslosen Deutschen aufgefordert hatte, dem „großen Kadermangel“ in seinem mit Vollbeschäftigung gesegneten westsibirischen Gebiet abzuhelfen, veranstaltete nun am 25. Oktober auch noch der Gouverneur des Gebiets Nowosibirsk, Wiktor Tolokonski, eine Pressekonferenz im Haus der Russischen Kultur – um deutsche Investoren in seine Oblast zu locken.

Wie Rossel versprach auch er ihnen jede Menge Hilfeleistungen seitens seiner Administration: bessere Investitionsbedingungen – wie Steuervergünstigungen in Bezug auf den Ertrag, die Immobilien sowie den Grund und Boden, dazu ein zunehmend kapitalfreundlicheres Wirtschaftsrecht, eine im Vergleich zu Deutschland schlankere Bürokratie … und noch schöner: „Bei uns ist es verboten, mit sozialen Forderungen an Investoren heranzutreten. Die einzige Forderung an sie lautet: Der Plan muss erfüllt werden!“ Dafür gibt die Gebietsadministration sogar jährlich 10 Millionen Euro für die Zahlung der Zinsen von Unternehmerkrediten aus.

Gouverneur Tolokonski hatte nicht nur jede Menge Werbebroschüren und CDs sowie ein Video auf Deutsch über seine Oblast dabei, er eröffnete am selben Tag auch noch zusammen mit der Commerzbank in der russischen Botschaft eine „Nowosibirsker Wirtschaftswoche“ – unter dem Motto „Sibirien – mit Zuversicht in die Zukunft sehen!“. Dies gelte insbesondere für sein Gebiet Nowosibirsk, das sich „äußerst dynamisch“ entwickle – einmal als „strategisches Gebiet“ mit Hightech-Rüstungsproduktion, dann mit seiner Verarbeitungs- und Lebensmittelindustrie und schließlich mit seinen Hochschulen und der Filiale der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Etliche deutsche Firmen haben sich bereits in Nowosibirsk angesiedelt: Gerade eröffnete z. B. der Fenster- und Türenhersteller Veka dort eine Fabrik, und darüber hinaus wird derzeit der Flughafen von deutschen Unternehmen ausgebaut. Außerdem will sich der Metro-Konzern in der sibirischen Hauptstadt niederlassen.

Nach 1990, während der Konversion der meisten Rüstungsbetriebe, die man nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion in diese Region evakuiert hatte, hatte die Gebietsverwaltung zunächst „zehn schwierige Jahre“ durchzustehen, in denen man händeringend neue Partner suchte. In diesen Nachwendejahren, rückblickend nun als „erste Etappe“ bezeichnet, wurden hauptsächlich Waren importiert – bis die Im- und Exporte in etwa gleichzogen.

In der „zweiten Etappe“ ging es dann um den Ausbau der Warenproduktion. Und nun geht es in der „dritten Etappe“ um Investitionen – „nicht nur Waren verkaufen, sondern Betriebe“ – und außerdem um Neugründungen.

Nowosibirsk weist derzeit die größte Zuwachsrate von allen Gebieten Russlands auf, dazu kommen viele Bodenschätze und eine produktive Landwirtschaft. In der Stadt und in einem Umkreis von 300 Kilometern leben 12 Millionen Menschen, von denen viele sehr gut ausgebildet sind. In summa: „Das Wichtigste, was wir den deutschen Investoren bieten können“, meinte Tolokonski, „ist Ruhe und Sicherheit für heute und morgen!“ Daneben gibt es für sie inzwischen aber auch ein Russisch-Deutsches Haus für Kultur sowie eine Russisch-Deutsche Universität und demnächst eine Wirtschaftswoche deutscher Unternehmen in Nowosibirsk.

Als „Helden“ taugen die Deutschen nicht, wie der Historiker Michael Stürmer einmal vor dem Unternehmerverband Gesamtmetall ausführte, wohl aber komme ihnen bei der wirtschaftlich-wissenschaftlichen (Wieder-)Eroberung des Ostens eine führende Rolle zu. Beim Nowosibirsker Gouverneur hörte sich das jetzt so an: „Die BRD ist gegenwärtig einer der Hauptpartner unseres Gebietes auf dem Weltmarkt. Die Administration des Gebietes Nowosibirsk misst dem Ausbau der russisch-deutschen Geschäftsbeziehungen deswegen eine besondere Bedeutung bei.“