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Archiv-Artikel

Partner im Stärkeverhältnis von 4:1

Die schwarz-rote Koalition in Sachsen birgt Risiken für beide Seiten – aber zurückstecken musste zunächst die SPD

DRESDEN taz ■ Erst jetzt, sechs Wochen nach der Wahl, ist klar, dass die Koalitionsverhandlungen in Sachsen nicht scheitern werden. Nach mehreren Auszeiten und Gesprächen bis weit nach Mitternacht hatten CDU und SPD Kompromisse in den heikelsten Streitfragen der Bildungs- und Finanzpolitik gefunden. Gestern haben sie ihre Koalitionsvereinbarung offiziell präsentiert. „Uns steht ein gemeinsames Bild für Sachsen vor Augen: ein weltoffenes“, sagte Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).

Vor allem in Bildungsfragen hatte sich die SPD als Oppositionspartei profilieren können. Nun ruhen die Hoffnungen vieler Eltern, Lehrer und Schüler auf dem neuen Juniorpartner der Union. Zeitungsumfragen ergaben mehr als eine Dreiviertelmehrheit für die von der SPD geforderte gemeinsame achtjährige Schulzeit. Die CDU aber war bislang keinesfalls bereit, das stark gegliederte Schulsystem aufzugeben. Über den Umweg von Modellversuchen hat die SPD nun eine Hintertür für integrierte Schulmodelle öffnen können. Kleinere Schulen auf dem Land, die durch den Geburtenrückgang von Schließung bedroht waren, sollen häufiger Genehmigungen erhalten. Auch soll die Überlastung von Grundschullehrern durch 800 neue Stellen ausgeglichen werden.

Keine üppigen Erfolge, die bei einem Stärkeverhältnis von 1:4 zwischen SPD und CDU auch kaum zu erwarten waren. Zu Beginn der Verhandlungen hatte die SPD noch auf ein Super-Kultusressort mit der Zuständigkeit für Wissenschaft, Schule und Vorschule spekuliert – sofern sie eine neue Schulpolitik auch offensiv vertreten könne, wie es hieß. Dass die Trennung der Zuständigkeiten letztlich beibehalten wurde, signalisiert, dass es dazu nicht kam. Die SPD wird das Wissenschafts- und überraschend auch das Wirtschaftsministerium unter den acht Fachministerien besetzen.

Personalien aber sollen erst nach der Wahl des Ministerpräsidenten im Landtag am 10. November genannt werden. Offenbar fürchtet Kandidat Georg Milbradt (CDU) sonst enttäuschte Abweichler in den eigenen Reihen, was bei einer Mehrheit von nur fünf Stimmen kritisch werden könnte.

Leichter fielen den neuen Koalitionären andere Vereinbarungen wie der Verzicht auf eine erneute Kreisreform. Finanziert werden sollen die Bildungskompromisse mit einer geringeren Absenkung der Neuverschuldung als von der CDU ursprünglich geplant. Dem strikten Sparkommissar und früheren Finanzminister Milbradt muss dieses Zugeständnis besonders schwer gefallen sein.

Aber auch von der Parteibasis könnte der Ministerpräsident bedrängt werden, wenn an diesem Sonnabend die Parteitage von CDU und SPD zusammenkommen. Kritik an den Kompromissen mischt sich mit Kritik am Wahlverlierer Milbradt, der weder die Herzen der Menschen erobern noch Fehler selbstkritisch eingestehen könne. Die CDU sehnt sich nach Volkstribunen wie dem Milbradt-Vorgänger Kurt Biedenkopf. Und sie tut sich schwer damit, die Macht in Sachsen erstmals teilen zu müssen. Aber auch für die SPD dürften die kommenden fünf Koalitionsjahre existenzielle Bedeutung gewinnen. Gelingt es ihr nicht, ein eigenes Profil zu wahren, könnte ihr magerer Wähleranteil von 9,8 Prozent noch weiter schrumpfen. Die Koalitionsverhandlungen gaben einen Vorgeschmack darauf, wie schwer das wird. MICHAEL BARTSCH