: Mottenfraß am Blattwerk
Die Miniermotte, der Kastanienfeind Nummer eins, ist das Musterbeispiel einer invasiven Art. Forscher suchen emsig nach einem natürlichen Feind, der die Motte in Schach halten kann. Bisher jedoch hilft nur das gründliche Laubsammeln
VON GISELA SONNENBURG
Das „Minieren“ kommt aus dem Französischen und heißt eigentlich so viel wie unterirdische Gänge anlegen, also Stollen oder „Minen“. Die Miniermotte hingegen wurde erstmals 1984 am helllichten Tag in Mazedonien entdeckt: Ihre Larven bohren und fressen sich durchs Blattwerk von Kastanien, bis die Reste davon schon zur Sommerzeit braun werden und abfallen.
Maximal 5 Millimeter lang, legt das flattrige Wesen mit den weiß gestreiften Flügeln bei Blütenbeginn seine Eier fast ausschließlich auf der weißblühenden Kastanie, der auch homöopathisch geschätzten Rosskastanie, ab. Nach zwei bis drei Wochen schlüpfen die Larven, um sich durchs Blattgrün zu minieren – bis sie sich an Ort und Stelle verpuppen. Vom Parenchym-Gewebe, das das für Bäume lebenswichtige Chlorophyll bildet, ist dann nicht mehr viel da. Fatal ist außerdem für die Pflanze: Ihr Abwehrsystem ist geschwächt, Pilzbefall die gefürchtete Folge.
Und jedes Jahr schlüpfen die Flugobjekte erneut, oft in noch größerer Anzahl als im Vorjahr: Frost schadet den Puppen nicht, außer wenn er 40 Minusgrade erreicht. Als typische invasive Art, die wie ein Eroberer in neues Terrain einfällt, ohne dort von natürlichen Feinden erwartet zu werden, hat das Insekt leichtes Spiel bei seiner Ausbreitung.
So tauchte der Kastanienfeind Nummer eins nur neun Jahre nach seinem mazedonischen Debüt in Deutschland auf: an einer Autobahn in Bayern, wohin vermutlich ein Lkw ihn unfreiwillig verfrachtete. Und die Motte frisst sich vorwärts durch Europa, kam 1993 in Passau an und 1998 in Westfalen. Mittlerweile hat sie Holland und England erreicht und verschont dank großer Fruchtbarkeit kaum einen Baum, der ihr schmeckt. Neben der Rosskastanie ist gelegentlich auch der Ahorn dabei, sofern er in enger räumlicher Nähe zu befallenen Kastanien steht.
Im Herbst muss das Laub der kranken Bäume, das die nächste Generation in Puppenform trägt, sorgfältig gesammelt und vernichtet werden, zum Beispiel in Großkompostieranlagen, die Temperaturen über 40 Grad erreichen, oder in Müllverbrennungsanlagen. Diese Beseitigung der Brut, die sonst im Frühjahr ihr Fresswerk aufnimmt, ist das einzige bekannte effektive Mittel gegen die Minierer. Chemische „Keulen“ wirken nämlich nur begrenzt – und man müsste sie jedes Jahr großflächig anwenden. Damit würden auch andere Lebewesen getroffen.
„Ökologisch wäre das kaum vertretbar“, weiß Werner Heitland vom Lehrstuhl für Tierökologie der Technischen Universität München. Insektenfallen mit Sexuallockstoffen oder auch die von findigen Herstellern gepriesenen homöopathischen Mittelchen wie Bachblüten haben laut Heitland keinen nachgewiesenen Erfolg.
So bleibt selbst bei konzentrierten Kastanienbeständen nur das gründliche Laubentfernen. Dann ist immerhin mit dem Rückgang des Befalls in der nächsten Saison auf bis ein Drittel zu rechnen. „Rettet unsere Kastanie!“, „Motten stoppen – Laub sammeln“, barmen daher im Herbstnebel die Plakate. Und Stadtreinigungen geben preiswert spezielle Müllsäcke für die Schädlinge aus: Darin wird Miniermottenlaub kostenlos vom Straßenrand abgeholt.
Die Miniermotte, das politisch korrekte Feindbild? Etlichen Lokalpolitikern gibt das eingewanderte Insekt alljährlich Gelegenheit, sich mit der Harke in der Hand kämpferisch und volksnah zu geben. Schulklassen und Wähler sollen nacheifern, auch Ein-Euro-Jobs sind der Miniermotte abzutrotzen. Schließlich ist sie, ob mit oder ohne Feindimage, nicht nur das typische, sondern sogar das Musterbeispiel einer invasiven Art: Zwischen 80 und 100 Kilometern schafft die Motte pro Jahr. Trotz Laubsammel-Maßnahmen.
In Wäldern, in denen das Laub unkontrollierbar verweht, ist ihr, anders als in Parks, Privatgärten und Alleen, allerdings nur schwer beizukommen. Der Grund: Es fehlt an natürlichen Fressfeinden. Da man auch in Mazedonien keine entdeckte, vermuten Forscher des EU-Projektes „Controcam“, dass der Ursprungsort der Miniermotte in Asien liegt.
Dort sucht ein Schweizer Wissenschaftler nach bestimmten Wespen. Die Hoffnung: dass eine Art der Erzwespe die Motten-Mortalität auf bis 80 oder 90 Prozent steigert. Zum Vergleich: Die europäischen Vögel, die die Larven der Miniermotten ebenfalls aufpicken, schaffen bestenfalls 5 bis 10 Prozent.
Entstehungsgeschichtlich wird ein so genannter „Wirtswechsel mit Artenbildung“ angenommen, das heißt, dass die Miniermotte sich aus einer anderen Art entwickelte. Einen Schmetterling, der als Vorfahre in Frage kommt, gibt es in Japan – wild gewordene Genforscher als Mottenurheber schließen Heitland und die seriöse Zoologie jedenfalls aus.
Eine Spur führt allerdings in die USA: Dort wurde man auf Eichen fündig. Bis jedoch dort oder in Japan ein fleißiger Fressfeind geortet ist, der hierzulande angesiedelt werden kann, mögen indes noch Jahre vergehen. Und ob die unliebsame Motte dann ausstirbt, ist auch nicht sicher. Heitland: „Wir werden mit der Miniermotte leben müssen.“