Neu bei Starbucks: Latte Shakespeare

Richard Maxwell beobachtet die Banalität des US-Alltags. Die Kraft der Negation führt ihn nun am Hebbel-Theater zu Shakespeares „Henry IV“

„Ich will den Schauspielern nicht die Last aufbürden, etwas fühlen zu müssen“

von SIMONE KAEMPF

Vielleicht hat es sich so angehört: I just want a decaf double tall hazelnut nonfat with a shot of mocha latte. Next. A venti caffe caramel latte macchiato with whip. Next. A house blend of the day. What would that be? Sumatra. Tall Drip? I beg your padon? Next. – So oder so ähnlich. Alltagsprosa aus einer Starbucksfiliale. Ganz nach Richard Maxwells Geschmack.

Als der amerikanische Dramatiker und Regisseur vor ein paar Jahren in einem New Yorker Coffeeshop den nordindischen Immigranten Lakpa Bhutia als Verkäufer erlebte, heuerte er ihn kurzerhand als Schauspieler an. Maxwell fragte: „I want you to be in my play“. Bhutia antwortete: „I can’t play“. Ein Dialog, wie aus einem Maxwell-Theaterstück, und zwei, die sich umstandslos verbündeten. Bhutia gehört heute fest zu Maxwells New York City Players.

Der 35-Jährige hat in den vergangenen Jahren immer konsequenter Themen, Sprache und Schauspieler außerhalb des Theaters generiert. Seine reduzierte Formensprache umkreist in vielen Varianten die Banalität und die Abgründe des amerikanischen Durchschnittslebens. Die Figuren reden im Stop-and-go- Rhythmus, haben nur wenig mitzuteilen. Meist stehen sie in grell ausgeleuchteten kleinen Schuhkartonbühnen schlaff und funktionsuntüchtig nebeneinander, und doch muten ihre Konstellationen immer archaisch an. In „House“ ist es die Familie als Urhölle, die unspektakulär auseinanderbricht. Vater, Mutter, Sohn. Ein Fremder dringt in die Familie ein. Wie nebenbei erschlägt er den Vater und erdrosselt den Sohn. „Wow“, sagt die Mutter und paart sich mit dem Eroberer.

„Ich schaue auf die Menschen, ich beobachte ihr Verhalten, ihre Art zu reden. Aber ich analysiere sie nicht“, sagt Maxwell. Sein Wunsch, sich jenseits aller sozialen Realitäten zu bewegen, lässt ihn durch allgemeine zivilisatorische Peripherien streifen. In „Caveman“, eine der jüngeren Produktion, die in diesen Tagen im Hebbel am Ufer zu sehen war, hat ein Ehepaar einen Arbeitskollegen des Mannes zu Gast. Sie wärmt in der rosa Kittelschürze Tiefkühlhappen in der Mikrowelle auf.

Beide Männer kauen ausgiebig und schweigsam. Der Ehemann erzählt von dem Mädchen, mit dem er schlafen will, während der Gast die Hausfrau in die Arme nimmt und küsst. Instinkte der frühen Höhlenmenschen. Das ist das beklemmende Statement, und vielleicht würden einem die simplen Bilder nicht nachträglich so stark bedrängen, wenn darin mehr psychologische Reibungsflächen zu finden wären.

Maxwell liefert keine Seelenlandschaften. Man ist lange beschäftigt, nach einer höheren Logik der Figuren zu suchen. „Ich kommentiere nicht die Figuren, ich kommentiere die Theaterkonventionen“, sagt Maxwell, und deswegen ist es viel ergiebiger, sich auf seine gezielten Anti- Theatralisierungen und Stilisierungen einzulassen. Er spielt damit, dass das Theater furchtbare Angst vor leeren Räumen hat. Maxwell versucht all die theaterspezifischen Konditionierungen zu vermeiden, die den Rahmen bilden. „Ich will den Schauspielern nicht die Last aufbürden, etwas fühlen zu müssen, wenn sie fremde Zeilen sprechen.“ So freundlich er das sagt, so bitterernst ist ihm damit.

Die gängigen Theaterstandards hat auch Maxwell erst einmal erlernen müssen, bevor er sie ablegen konnte. Eine der älteren Schwestern spielte am College in der amerikanischen Kleinstadt Fargo in der Schultheatergruppe, als Hobby schrieb der Vater ein paar Theaterstücke. Ohne großes Hinterfragen begann Maxwell ein Schauspielstudium und stieß nach kurzer Zeit zum Chicagoer Steppenwolf Theatre, das John Malkovich Ende der 70er-Jahre als Experimentiertheater mitgegründet hatte. „Ich war nicht zufrieden. Mich störte, dass die Inszenierungen zu abgesichert waren. Das wollte ich nicht, das wusste ich genau.“ Herausgekommen ist eine Arbeitsweise, die er bis heute beibehalten hat. Das Positiv aus dem Negativ finden. Immer wieder überprüfen, was man nicht vom Theater will.

Dieses Prinzip führt auch zu radikalen Brüchen. Erstmals hat Maxwell mit „Henry IV“ einen Klassiker inszeniert. Man kann mit einiger Komplizenschaft behaupten, dass der Stoff nahtlos an Maxwells Vorliebe für komplizierte Familienbeziehungen anschließt, dass sich der König und Prinz Hal genauso wenig zu sagen haben wie Vater und Sohn in „House“. „Während der Arbeiten habe ich gemerkt, dass meine Regeln plötzlich nichts mehr gelten.“ Die eigenen Konventionen ablegen, eigentlich ganz in seinem Sinne und nötig, weil statt maximal vier Schauspielern ein Ensemble von 25 auftritt. Was hat ihn an Shakespeare gepackt? Die Zeitlosigkeit, die moderne Bühne, die poetische Kraft der Sprache? Nein, es war der Moment, als der institutionalisierte Theaterklang aus Shakespeares Sprache verschwand. „In einem Workshop in Brooklyn ließen wir Schauspieler Shakespeare sprechen, die noch nie mit ihm zu tun hatten.“ Der liberalisierte Klang ist in „Henry IV, Part One“ zu finden, Interpretationen gibt es auch dieses Mal nicht, dafür historische Kostüme, die bewusst das 15. Jahrhundert heraufbeschwören. Nach der Premiere Anfang Oktober in New York hagelte es empörte Kritiken. „Eurotrash nontaste“, schrieb der Village Voice. Jetzt hofft Maxwell, in Berlin die New Yorker Kritik besser zu verstehen.

„Henry IV, Part One“, 20.–23.11., jeweils 19.30 Uhr, Hebbel am Ufer 1, Stresemannstr. 29