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Archiv-Artikel

Eine Beleidigung für Opfer und Überlebende

Auf einer Wiese südlich des Reichstags forderten Vertreter des Zentralrats der Sinti und Roma und Überlebende des NS-Massenmordes ein Denkmal für die Opfer ihres Volkes. Dass sie um die Form so kämpfen müssen, empört sie

Der Lärm der absurden Skispringerei am Brandenburger Tor weht an diesem milden Novembertag auf die Lichtung. Romani Rose muss seine Stimme heben, so laut ist es. Der Vorsitzende des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma steht auf einer Wiese südlich des Reichstags. Hinter ihm verkündet ein tafelgroßes Schild: Hier soll ein Denkmal für die etwa 500.000 von den Nazis getöteten Sinti und Roma errichtet werden. Mehrfach haben Neonazis hier ein ähnliches Schild beschädigt. Acht Männer stämmen sich hinter Rose mit Spruchbändern gegen den Wind. Auf einem steht ein Zitat des NS-Justizministers Otto Georg Thierack, der 1942 notierte, dass „Juden und Zigeuner schlechthin vernichtet werden sollen“.

Einer von ihnen ist Stanowski Winter. Der 85-jährige Hamburger hat die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Sachsenhausen und Ravensbrück überlebt. Er ist einer von rund einem Dutzend Überlebenden des Massenmordes an den Sinti und Roma, die auf der Lichtung stehen. Winter sagt, es sei „eine Beleidigung für die Opfer und uns Überlebende“, wenn ein geplantes Denkmal nicht so verwirklicht werde wie vom Zentralrat gefordert. Zudem sei es „eine Schande für die deutsche Politik“, dass alte und gebrechliche Überlebenden hierher kommen müssen, um Druck zu machen für den Denkmalbau.

Krimhilde Malinowski ist ähnlich empört. Die 74-jährige Würzburgerin ist mit knapp 14 Jahren von den Nazis zwangssterilisiert worden, wie sie leise sagt – sie schämt sich noch immer für das Verbrechen, das ihr angetan wurde. Ihr erster Mann ließ sie sitzen, weil er von ihr nach dem Krieg keine Kinder haben konnte. 30 Mitglieder ihrer Familie haben die Nazis ermordet, darunter 16 Kinder. Das Wort „Zigeuner“, sagt sie, „kann man nicht mehr hören“. Wo „Zigeuner“ gesagt wurde, sei es um ihren Kopf gegangen.

Es geht um Worte heute. Rose will, dass auf dem geplanten Mahnmal für die Sinti und Roma nur ein bestimmtes Zitat des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog zu finden ist. „Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im gesamten Einflussbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet“, hatte er 1997 gesagt. Nur dieses Zitat dürfe auf dem Mahnmal stehen, so Rose.

Die „Sinti-Allianz“ aus Köln lehnt das ab: Der Begriff „Sinti und Roma“ sei nicht umfassend genug, weil damit nicht alle Menschen erfasst seien, die als „Zigeuner“ umgebracht wurden. Die Kulturstaatsministerin Christina Weiss gibt Geld für ein Denkmal, will es aber mit einer Inschrift, die Zentralrat und „Sinti-Allianz“ mittragen. Nach einem Gespräch mit Weiss verkündet Rose später, dass es noch keine Einigung mit der Ministerin gebe. Krimhilde Malinowski und Stanowski Winter schweigen im Wind vor dem Kanzleramt. Was sollen sie auch noch sagen?

PHILIPP GESSLER

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