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Archiv-Artikel

Die Augen reiben

Ohne Pathos: Der Antifaschist Fritz Bringmann erinnert sich an die Zeit, da er täglich mit einem Bein im Grab stand

Es gibt Lebensläufe, die höchsten Respekt verdienen, auch wenn man für die Person keinerlei politische Sympathien hat. Politisch hätte man sich mit dem Kommunisten Fritz Bringmann in fast allen Phasen seines Lebens in die Haare gekriegt. Aber das tangiert seine Geschichte nicht.

Bringmann wurde am 9. Dezember 1918 in eine Lübecker Arbeiterfamilie hineingeboren, die bald elf Personen umfasste. Diese hausten in einer Zweizimmerwohnung ohne elektrisches Licht, die älteren Geschwister schliefen auf dem Dachboden. Der Vater Bringmanns war zeitlebens Sozialdemokrat, die älteren Brüder engagierten sich in der kommunistischen Jugendbewegung wie auch Fritz Bringmann. Nach 1933 beteiligten sich alle an politischer Arbeit in illegalen Zellen. Fritz Bringmann wurde im April 1935 als 17-Jähriger erstmals verhaftet und blieb bis September in Schutzhaft. Bereits am 14. Oktober 1935 wurde der Klempnerlehrling erneut verhaftet und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Schon nach zwei Jahren verlegte man den Häftling für weitere Jahre ins Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er zunächst schwere Erdarbeiten verrichten musste und dann das Glück hatte, als Häftlingssanitäter zu arbeiten. Die Lager Neuengamme, Osnabrück, Bremen-Huckelriede und nach einer gescheiterten Flucht nochmals Neuengamme waren die nächsten Stationen bis zur endgültigen Befreiung im Mai 1945. Insgesamt verbrachte der bei Kriegsende 27 Jahre alte Bringmann 118 Monate – also fast die Hälfte seines Lebens – in Haft. Alle neun Brüder durchlitten zwischen 1933 und 1945 zusammen 68 Jahre und 3 Monate Haft, Zuchthaus, Kriegsgefangenschaft und Emigration.

Die Nachkriegszeit war für Bringmann eine Kette von Enttäuschungen. Die britische Besatzungsmacht wies der Familie die Wohnung und die Möbel des ehemaligen Nazis und Polizeipräsidenten Walter Schröder zu. Als sich Bringmann in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) engagierte, musste die Familie mit dem 82-jährigen, fast erblindeten Vater die Wohnung wieder verlassen; eine eindeutig rechtswidrige Anordnung. Der ehemalige Polizeipräsident dagegen kassierte 50.000 Mark Wiedergutmachung. Bringmann selbst erhielt für seine fast zehnjährige Lager- und Schutzhaft insgesamt 17.700 Mark „Entschädigung“ und eine Beschädigtenrente von 172 Mark monatlich. 1955 und 1965 bekam Bringmann nochmals je 5.000 Mark dafür, dass er wegen der Haft seine Lehre nicht beenden konnte. Von 1952 bis 1956 war er arbeitslos.

Bis zum Verbot am 26. Juni 1951 arbeitete Bringmann für den Verband Freie Deutsche Jugend (FDJ) sowie als Funktionär für die Kommunistische Partei Deutschlands (am 17. August 1956 verboten) und für die VNN. In den vier Jahren von 1950 bis 1954 erlebte er nicht weniger als 26 Hausdurchsuchungen, Vorladungen, Beschlagnahmen, Ermittlungen und Gerichtsprozesse. Bei einer Hausdurchsuchung ging eine Kartei mit den Namen von über 2.000 mutmaßlichen nationalsozialistischen Verbrechern „verloren“. Von März 1956 bis 1965 leitete Bringmann das Erholungsheim für ehemalige Naziverfolgte in Seppensen. Als DKP-Mitglied kämpfte er gegen Berufsverbote, wie sie von 1972 an auf der Basis des Radikalenerlasses möglich wurden. Seine größten Verdienste erwarb er sich jedoch für den Erhalt und den Ausbau der Gedenkstätten im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern sowie als Generalsekretär der Amicale Internationale de Neuengamme, die regelmäßig überlebende Häftlinge einlädt und ein Dokumentationszentrum unterhält.

Obwohl immer wieder vorgeschlagen, verweigerte die Regierung Kohl die Auszeichnung Bringmanns mit dem Bundesverdienstkreuz. Erst die rot-grüne Regierung ehrte ihn am 26. Januar 2000.

Bringmann erzählt seine Geschichte ohne Pathos, freilich auch mit politischen Wertungen – etwa des Hitler-Stalin-Pakts –, die einen sich die Augen reiben lassen. Die Stärken des Buches liegen nicht in der historischen Darstellung, sondern in der lapidaren Einfachheit, mit der sich einer an die Zeit erinnert, in der er täglich mit einem Bein bereits im Grab stand. RUDOLF WALTHER

Fritz Bringmann: „Erinnerungen eines Antifaschisten 1924-2004“. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2004, 255 Seiten, 14,50 Euro