: berliner szenen Die Post klingelt kein Mal
Unbekannt dageblieben
Ich scheine verschollen. Eigentlich wohne ich seit 15 Jahren unter der gleichen Adresse, aber auf dem Anrufbeantworter mehren sich die besorgten Nachfragen. Anfangs war ich ganz gerührt: „Frau Müller, geht es Ihnen gut? Leben Sie noch? Sind Sie umgezogen? Bitte melden Sie sich.“
Nun, das erste Mal war es der Eifer der neuen Putztruppe in unserem Haus, die auch die Briefkästen mit nassen Lappen abwischte. Tagelang war der Briefkasten leer, und ich hielt das für ein ungewöhnlich plötzliches Einbrechen der Sommerpause. Bis nach einer Woche die ersten Anrufe kamen mit Bitten um die neue Adresse, „Ihre Post kommt zurück“. Da merkte ich, dass mein Namensschild vom Briefkasten abgewaschen war und der Postbote sofort alles zurückschickte. Am nächsten Tag hing ein neues Namensschild gut gesichert im dafür vorgesehen Fenster meiner Briefkastentür, aber das scheint für den Briefträger zu klein zu sein. Zuerst beklebte er alle Briefkästen mit Zetteln, um sie dann groß zu beschriften. Trotzdem ging wieder Post zurück, schöne Pakete mit Büchern, diesmal mit der Mitteilung, das Haus wäre eingerüstet und stünde leer. Tatsächlich stand ein Gerüst vor dem Haus, weil die Balkone repariert wurden, dahinter wohnten wir aber alle weiter. Allmählich beunruhigte mich der Gedanke, was ich in den 16 Wochen hinter dem Gerüst außer Sonnenlicht noch alles verpasst habe.
Jetzt ist das Gerüst wieder weg und trotzdem kam wieder ein Anruf: „Bitte um die Mitteilung der Adresse, die Einladung ist nicht zustellbar“. Ich habe sofort den Briefkasten kontrolliert, steht aber alles deutlich da. Diesmal hatte es die Adressdatei des Absenders erwischt und alle Daten zerbröselt. So wird man zum Phantom. KATRIN BETTINA MÜLLER