: „Ich bin ein Opfer. Die haben sich gezielt mich ausgesucht“
Die Bundestagsabgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk, genannt „Triple S“ und berüchtigt für ihre volkswirtschaftlichen Grundsatzreferate, über ihre Abwahl aus dem SPD-Vorstand
taz: Hat dieser Parteitag neben dem großen Verlierer Olaf Scholz nicht auch eine kleine Verliererin?
Sigrid Skarpelis-Sperk: Es sieht wohl so aus.
Fühlen Sie sich als Opfer?
Ja, ich bin ein Opfer. Da haben sich einige ganz gezielt mich herausgesucht.
Riecht nach Verschwörungstheorie.
Eine Strafaktion des rechten Parteiflügels war seit Wochen angekündigt. Nicht zufällig kandidierte Susanne Kastner vom „Seeheimer Kreis“, die wie ich aus Bayern stammt, für den Vorstand. Außerdem wurden die Linken für das schlechte Wahlergebnis von Scholz und Clement verantwortlich gemacht. Das war eine klare Retourkutsche: Ottmar Schreiner und Andrea Nahles wurden erst im zweiten Durchgang gewählt, ich bin ganz rausgeflogen.
Sind Sie nicht gewählt worden, weil Sie links sind oder weil Sie die Genossen mit Ihren volkswirtschaftlichen Grundsatzreferaten nerven?
Weil ich links und eine Frau bin. Ein Mann wie Ottmar Schreiner, der gleichzeitig Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen ist, ist nicht so leicht abzuwählen. Ich wurde stellvertretend für die „Abweichler“ in der SPD-Bundestagsfraktion abgestraft.
Sie sind katholisch erzogen worden. Ihr Lebensmotto lautet: „Suche die Sünde zuerst bei dir selbst.“ Sind Sie selbst schuld an Ihrer Niederlage?
Ich weiß, dass viele mit den Augen rollen, wenn ich anfange zu reden. Ich war die einzige Volkswirtin im Parteivorstand. Seit Jahren habe ich offen meine Meinung gesagt und der SPD-Führung vorgeworfen, dass sie mit ihrer Politik falsch liegt. Ich weiß, dass ich mir damit keine Freunde mache. Aber was soll ich tun? Den Mund halten? Ich bin manchmal ja selbst verzweifelt darüber.
Andere Linke wie Niels Annen, Andrea Nahles oder Ottmar Schreiner sind in den Vorstand gewählt worden. Sind Sie vielleicht nur ein Opfer von Kungelrunden?
Das weiß ich nicht. Der eigentliche Grund liegt aber in dem, was ich eben gesagt habe: Ich stehe in Fragen der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik seit Jahren gegen den Mainstream – gegen den Mainstream in diesem Lande und den Mainstream in der SPD. Ich bin davon überzeugt, dass unser Kurs, den wir mit der Agenda 2010 fahren, zu einem schwachen Wirtschaftswachstum führen wird. Wir sollten nicht die kleinen Leute bluten lassen, sondern die öffentliche Investitionsquote für Bildung, Umwelt und die Kommunen erhöhen.
Also wird die SPD ohne Sigrid Skarpelis-Sperk im Vorstand noch ein bisschen weniger links?
Ich will mich nicht überschätzen. Trotzdem: Meine Abwahl ist eine klare Richtungsentscheidung. Der Richtungskonflikt selbst wird in der SPD jedoch nicht offen ausgetragen. Es ist doch erstaunlich, dass der Parteitag in Fragen der sozialen Gerechtigkeit weit über die Agenda 2010 hinausgegangen ist, bei der Erbschaftsteuer etwa oder der Lehrstellenabgabe. Als Scholz über soziale Gerechtigkeit redete, dachte ich, ich werd nicht mehr. Der hörte sich an wie Hans-Jochen Vogel. Der Kanzler hat sogar den demokratischen Sozialismus erwähnt.
Na bitte. Da können Sie doch froh sein.
Ich bin nicht froh. Die SPD ist in ihrer schwersten Krise. Sie erreicht ihre Wähler einfach nicht mehr. Wenn die Agenda 2010 keine wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungen bringt – und sie wird es nicht –, besteht die ernsthafte Gefahr, dass neben der SPD eine außerparlamentarische Bewegung entsteht. Aber Deutschland ist leider nicht so demokratisch gefestigt wie Großbritannien, bei uns könnte eine solche Bewegung rechts und populistisch werden.
Ein paar Minuten, nachdem Sie das Wahlergebnis erfahren hatten, sind Sie auf der Parteitagsbühne auf den Stuhl von Franz Müntefering gerutscht. Haben Sie schon Entzugserscheinungen?
Blödsinn. Ich war nur auf dem Weg zum Rednerpult und musste noch einen Moment warten, bis ich dran war.
Außerdem sind Sie ja nicht ganz weg vom Fenster. Sie haben noch Ihr Bundestagsmandat.
Was heißt hier „noch“? Ich bin Bundestagsabgeordnete und habe vor, weiter zu kämpfen und meiner Partei auf die Nerven zu gehen.
INTERVIEW: JENS KÖNIG