: Steuerausfälle in Milliardenhöhe
Nach neuester Steuerschätzung fehlen im NRW-Doppelhaushalt 04/05 über zwei Milliarden Euro. SPD-Finanzminister setzt auf Neuverschuldung, Grüne auf Einsparungen. Opposition empört
VON ANDREAS WYPUTTA
Im nordrhein-westfälischen Landeshaushalt klafft ein neues Milliardenloch: Nach neuesten Berechnungen des Arbeitskreises Steuerschätzung wird Landesfinanzminister Jochen Dieckmann (SPD) wegen der nur schleppend anlaufenden Konjunktur im laufenden Jahr rund 750 Millionen Euro weniger Steuereinnahmen verbuchen können als im laufenden Doppelhaushalt 04/05 vorgesehen. Im kommenden Jahr summieren sich die Steuerausfälle sogar auf satte 1,4 Milliarden Euro – ein „äußerst unerfreuliches Resultat“, wie Dieckmann einräumt. Zur Deckung des Haushaltslochs will der Finanzminister neue Schulden aufnehmen: „Es gilt an der bislang verfolgten finanzpolitischen Linie festzuhalten“, so Dieckmann. „Konjunktur- und und steuerbedingte Mindereinnahmen können durch eine höhere Neuverschuldung gedeckt werden.“
Die Opposition im Düsseldorfer Landtag reagierte empört: Die Steuerschätzung sei „eine schallende Ohrfeige“ für SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück, sagt CDU-Fraktionschef Jürgen Rüttgers. Schon bei der Verabschiedung des Doppelhaushalts im Frühjahr hätten die Christdemokraten bemängelt, dass Dieckmanns Finanzministerium viel zu optimistisch kalkuliere. Ingo Wolf, Vorsitzender der FDP-Fraktion, nennt die neue Bilanz eine „Quittung für die unseriöse Wirtschafts- und Finanzpolitik der rot-grünen Landesregierung. „Seit Jahren verschätzt sich der Finanzminister. Immer wieder müssen die Zahlen nach unten korrigiert werden“, klagt er – und fordert den sozial verbrämten neoliberalen „Neustart“ der Landespolitik: „Wir brauchen Flexibilisierungen des Arbeitsrechts, niedrige Steuern und den Umbau der sozialen Sicherungssysteme.“
Vertreter der rot-grünen Koalition wiesen die Manipulationsvorwürfe prompt zurück. „Der Vorwurf der Trickserei ist absurd“, so Edith Müller, finanzpolitische Sprecherin der Grünen, zur taz. Vielmehr blockiere gerade die CDU notwendige Reformen über den Bundesrat, etwa bei der Eigenheimzulage, die auch aus den Steuereinnahmen der Länder gezahlt wird. „Wir brauchen dringend einen substanziellen Subventionsabbau“, mahnt Müller. „Die Einnahmenseite ist weitgehend ausgeschöpft“ – wie das CDU-geführte Hessen habe sich die nordrhein-westfälische Landesregierung streng an den haushaltspolitischen Vorgaben der Bundesregierung orientiert.
Von einer höheren Neuverschuldung aber will Müller zumindest für das Jahr 2005 nichts wissen. Der Etat 2005 müsse „verfassungskonform bleiben“ – Rot-Grün hatte den Haushalt für 2004 nur durch die Erklärung einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts durchbringen können: Die Investitionen sind geringer als die Neuverschuldung, laufende Ausgaben müssen über Kredite gedeckt werden. Wo stattdessen gespart werden soll, sagt Müller nicht: Sie wollen den Beratungen der Koalitionspartner „nicht vorgreifen“, so die grüne Haushaltsexpertin.
Durchschlagen wird die klamme Haushaltslage auch auf die Kommunen. Bund und Land wälzten immer mehr Aufgaben auf die Städte und Gemeinden ab, klagt etwa Thomas-Hunsteger-Petermann, CDU-Oberbürgermeister im westfälischen Hamm. Seit 1997 habe seine Stadtverwaltung 124 neue Aufgaben ohne jeden finanziellen Ausgleich übertragen bekommen. Deshalb seien 182 der 427 nord–rhein-westfälischen Städte und Gemeinden nicht mehr in der Lage, einen ordnungsgemäßen Haushalt aufzustellen, 72 Kommunen seien faktisch pleite, so der kommunalpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Hermann-Josef Britz. Keinesfalls dürfe die Landesregierung Kredite von rund 225 Millionen Euro, die den Städten wegen fehlender Steuereinnahmen bis 2006 gewährt wurden, zurückfordern, sagt Britz und torpediert so die Einsparungs-Forderungen seines Fraktionsvorsitzenden Rüttgers. Während der SPD-Regierungschef Steinbrück als „größten Schuldenmacher“ geißelt, pfeift Britz schlecht abgesprochen auf die Landesfinanzen: „Die Regierung darf ihren Haushalt nicht auf Kosten der Städte und Gemeinden sanieren.“