: Bremen gibt sich die volle Dröhnung
Die EU will Menschen vor Lärm besser schützen. Anwohner großer Straßen und Schienen können aufatmen. Doch in Bremen weiß niemand, wo es wirklich laut ist. Die letzte amtliche Übersicht ist 30 Jahre alt. Jetzt soll der Lärmatlas aktualisiert werden
Bremen taz ■ Neuenlander Straße, Friedrich-Ebert-Straße, Schwachhauser Heerstraße – zigtausend Autos und Laster rollen hier täglich entlang. In Spitzenzeiten produzieren sie bis zu 80 Dezibel an Lärm, hat der Verkehrsclub Deutschland gemessen – halb so viel wie eine kreischende Kreissäge.
Nun erreicht die AnwohnerInnen Hilfe aus Brüssel – in Form einer EU-Richtlinie zur „Bekämpfung des Umgebungslärms“. Das Neue daran: Die Lärmgrenzwerte gelten künftig nicht nur an neu gebauten Straßen und Schienen, sondern überall. Handlungsbedarf bestehe in Bremen nicht nur an der Remberti-Achse oder der Bismarckstraße, sagt Lärmexperte Kai-Erik von Ahn von der Umweltschutzorganisation Bund. Der Lärmschutz müsse auch in Arsten, am Osterdeich oder in der Osterholzer Heerstraße verbessert werden.
Die EU-Vorgaben hätten bereits im Juni 2004 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Bremen treffen sie reichlich unvorbereitet. „Über konkrete Maßnahmen zum Lärmschutz haben wir uns noch keine Gedanken gemacht“, räumt Ralf Wehrse, Referatsleiter für den Immissionsschutz im Bremer Umweltressort, ein.
An der Weser ist noch völlig unklar, wo etwas unternommen werden müsste. Der aktuellste Lärmatlas – er verzeichnet, wie laut es in jeder Straße ist – stammt aus dem Jahr 1977. „Wir haben hier ein echtes Defizit“, gesteht Ressort-Sprecher Holger Bruns. Deswegen müsse jetzt eine „umfassende Bestandsaufnahme“ gemacht werden.
Schon bald werden Messwagen durch die Stadt rollen. Rund eineinhalb Euro kostet das pro AnwohnerIn, schätzt der Deutsche Städtetag. Ihm zufolge schlägt allein die Planung von adäquaten Lärmschutzmaßnahmen mit noch einmal zweieinhalb Euro pro Kopf zu Buche. In Bremen sind bis 2007 im Haushalt jährlich 100.000 Euro vorgesehen. Bei einer Stadt mit einer halben Million Einwohner sei das „viel zu wenig“, so von Ahn. Gleichwohl sei Bremen beim Lärmschutz keineswegs hintendran, „denn auch in den meisten anderen Kommunen wird sehr wenig getan“.
Die Sanierung der betroffenen Straßen wird für Bremen teuer. Die Stadt muss an allen kommunalen Straßen und an allen Schienenwegen für den Lärmschutz zahlen. Wie viel Geld das am Ende kosten wird, kann Wehrse noch nicht sagen.
Bislang haben sich Bundesregierung und Länder noch nicht auf ein Gesetz einigen können. Selbst die Forderung einiger Länder, wonach die Grenzwerte lediglich unverbindlich sein sollten, ist noch nicht vom Tisch. „Die Vorgaben aus Brüssel dürfen jetzt nicht verwässert werden“, fordert deswegen der Bund. 55 Dezibel am Tag und 45 in der Nacht seien das Maximum – das müsse verbindlich festgeschrieben werden.
Um den Bremer Verantwortlichen zu zeigen, was in puncto Lärmschutz bereits mit den heutigen Gesetzen möglich ist, lud der Bund unlängst einen Vertreter des Rostocker Umweltamts nach Bremen ein. In der Hansestadt an der Ostsee wurde bereits 1998 ein Lärmschutzprogramm aufgelegt, die Folge: Lärmschutzwände, Tempo-30-Zonen und ein Lärmtelefon, das Beschwerden entgegennimmt. Außerdem sanierten die Rostocker ihre Straßenoberflächen – um lautes Kopfsteinpflaster aus der Stadt zu verbannen. Jan Zier