: Klein anfangen mit Louis
Missionswechsel: Früher war Größenwahn das Markenzeichen von Patrick Wagner als Sänger von Surrogat, heute ist er vorsichtiger geworden. Er wirbt jetzt mit Erfahrung und Bescheidenheit für seine neu gegründete Plattenfirma Louisville
VON ANDREAS HARTMANN
Früher war bei Patrick Wagner viel die Rede von: durchdrehen, das Haus rocken, die Welt erobern. Der Mann hat sich noch nie groß zurückgehalten: Als Sänger von Surrogat machte er Größenwahn zu seinem Markenzeichen und irgendwann begann er damit, seinen Unterschriften das Kürzel „gaG“ anzuhängen, was heißen sollte: größer als Gott.
Surrogat ist fürs Erste auf Eis gelegt und damit auch das Kürzel. Patrick Wagner, der Popstar, macht Pause, der Patrick Wagner, der einen in seinem neuen Büro in Mitte empfängt, hat nun eine ganz andere Mission. Gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Yvonne Franken betreibt er seit kurzem ein Label: Louisville. Pünktlich zur Popkomm hat man die Veröffentlichung der ersten Platte aus dem eigenen Haus gefeiert, das eher recht trendy daherkommende Elektropopalbum der Berliner Gruppe Kissogramm.
So richtig popkommmäßig die Pauken und Trompeten hat man zu diesem Anlass nicht herausgekramt, denn noch will man schließlich den Ball eher flach halten. Die Party stieg im Club mit dem schönen Namen „Zenrale Randlage“, dem neuen Berliner Szenetreff. Praktischerweise befindet der sich im selben Haus wie das Louisville-Büro.
„Gib mir alles“, hieß es in einem Song von Surrogat. Von einer Popband hört man ganz gerne solche Sprüche, Popbands müssen sogar solche Sprüche von sich geben. Firmenbesitzer sollten sie eher vermeiden. Statt durchdrehen heißt es für Patrick Wagner nun: Abrechnungen machen, Mischkalkulationen erstellen, Zahlen kontrollieren. Nicht mehr das Haus rocken, sondern mit müden Journalisten am Telefon quatschen.
Aber er wollte es ja so. Vor gut zehn Jahren war Patrick Wagner schon mal so weit wie heute. Und damals war die Musikbranche sogar noch Utopia und kein Jammertal. Mit seinem damaligen Partner Raik Hölzl hat er Kitty Yo gegründet, ein Label, das entscheidend dazu beigetragen hat, dass Musik aus Berlin weltweit wieder zu einer Marke wurde. Irgendwann gab es aber Probleme, Patrick Wagner verließ Kitty Yo und widmete sich dem Popstar-Sein mit Surrogat, die inzwischen bei Universal gelandet waren. Er schien seine wahre Bestimmung gefunden zu haben.
Doch letztlich fand dann niemand das letzte Album von Surrogat genauso toll wie Patrick Wagner selbst, und so landete er bald in einer ganz anderen Funktion bei Universal: als Künstlerbetreuer und Produktmanager für Independentrock. Einen wie ihn konnte man hier bestens gebrauchen, einen echten Pusher und Mitreißer, einen mit Credibility in der Szene, einen, der selbst der größten Plattenfirma der Welt etwas Glaubwürdigkeit verschafft.
Mit Louisville schließt sich jetzt also ein Kreis. Geschichte wiederholt sich, zumindest beinahe. Denn damals war Patrick Wagner ein Frischling im Geschäft, heute ist er ein alter Hase, einer, den man kennt und der von sich selbst behaupten kann: „Patrick Wagner ist immer eine Story wert, so blöd das auch klingt.“
Zu Kitty Yo gibt es keine Brücke mehr. „Wenn ich Raik auf der Straße treffen würde, gäb es ein paar aufs Maul“, sagt er, und: Ja, man dürfe ihn mit diesen Worten zitieren. Es geht um Geld, wie meist bei solchen Angelegenheiten, mehr will Patrick Wagner dazu aber nicht einfallen. Denn schließlich soll es nach der Zeit beim Major endlich auch wieder um etwas anderes als dauernd ums Geld gehen. Wofür macht man denn jetzt den ganzen Scheiß? Natürlich wegen der Musik, wegen dem Album von Kissogramm, wegen der lang erwarteten zweiten Platte von Jeans Team, die im Januar erscheinen wird, und wegen all dem, was sonst noch kommen wird.
Auch Yvonne hat eine Zeit lang bei Universal gearbeitet, als Promoterin. Den ganzen Wahnsinn dort haben nun also beide hinter sich gelassen. Sie stehen auf guter, nicht zwangskommerzialisierter Popmusik – ein Majorlabel schien da einfach der falsche Arbeitgeber. Mit Louisville soll nun alles anders und besser werden.
Dennoch: Angesichts einer Branche, die sich derzeit mit Horrorszenarios überbietet, redet Patrick Wagner nicht mehr von Visionen, wie er das früher so gerne tat, nicht von der Weltherrschaft, sondern davon, gerade mal vier Platten im Jahr veröffentlichen und auch auf lange Sicht nicht expandieren zu wollen. Er redet nicht von den Charts, Viva oder China als möglichem neuem Absatzmarkt, sondern davon, nichts weiter vorzuhaben, als mit einem kleinen Label eine kleine Familie ernähren zu wollen. Patrick Wagner ist bescheiden geworden, oder, wie Yvonne es ausdrückt: „realistisch“.
Der Name Louisville passt deswegen auch hervorragend zu ihrer kleinen Firma. Im Augenblick weist auf Louis, so heißt ihr gemeinsamer Sohn, im Büro leider nur die liegen gebliebene Verpackung eines Xylofons hin. Allein seinetwegen, so Patrick Wagner, könne man nun eben „nicht mehr so rumeiern“.
Ein wenig wünscht man sich an dieser Stelle dann aber schon den anderen Patrick Wagner herbei, den Surrogat-Patrick oder zumindest den Kitty-Yo-Patrick aus frühen Jahren. Denn diese Euphorie, die Patrick Wagner damals in vielleicht manchmal nerviger Art und Weise verbreiten konnte, wirkte ansteckend. Er war der Garant für Aufbruchstimmung und den Glauben an den Sieg des Guten.
Louisville geht dagegen auf Nummer sicher. Die Platten von Kissogramm und Jeans Team werden sich verkaufen, beide sind schließlich keine Newcomer mehr. Selbst die Euphorie, unabhängig zu sein, ist nicht ganz echt. Schließlich haben inzwischen sogar die Majors erkannt, dass die Zukunft den Indies gehört, weshalb die neue Strategie lautet, sie an sich zu binden. Mit Universal unterhält Louisville dann auch einen so genannten First-Option-Deal, was bedeutet, dass sich der Major jede Band krallen kann, die bei Louisville erfolgreich zu werden droht.
Wohin also mit unseren Hoffnungen und Wünschen? Patrick Wagner jedenfalls will keine echten Experimente mehr wagen, will keine Wände mehr einschlagen oder wenigstens ein bisschen gaG sein.