: „Schade, Berti, alles ist vorbei“
Nach dem 6:0 fahren die Niederlande doch noch zur EM, feiern die Geburt einer neuen Fußball-Ära und drohen sogar damit, es noch besser zu können. Schottlands Trainer McBerti Vogts tut derweil auf Kleinenbroicher Pidgin-Englisch so, als sei das peinliche Desaster für sein Team „völlig normally“
aus AmsterdamBERND MÜLLENDER
Der Fußballlehrer Hans-Hubert Vogts aus Kleinenbroich hatte, wieder einmal, seine eigene Wirklichkeit: „Ich bin nicht geschockt“, behauptete er nach dem desaströsen 0:6 seiner Elf und versuchte erfolglos einen Anflug von Lächeln. „You know, der schottische und der internationale Fußball sind sehr verschieden, das ist völlig normally.“ Es sei eben „ein schlechter Tag“ gewesen, „das war alles, sett woss oll“. Er sehe das als „good lesson for us“, auch für die gedemütigten Spieler in der Kabine: „Sie sind sehr ruhig und denken über die Lektion nach. This is good. Ich bin sehr stolz auf meine Spieler, auch jetzt.“
Vogts hatte seine Analysen in einer Art englischer Sprache vorgetragen. Das klang, bar jeder Grammatik, in etwa so, wie seine Mannschaft gespielt hatte: Willkürlich in der Wahl der Mittel, ohne erkennbares System, voll grotesker Fehler. Das kleine schottische Fußballland und der kleine Trainer – an diesem Abend von Amsterdam ist wieder etwas zusammengeschrumpft, was zusammengehört. Vogts: „Wir sind vorgeführt worden. Ich bin sehr enttäuscht. Aber das ist mein Job. Schimpfen Sie nicht mit der Mannschaft, sondern wenn mit mir. You can blame me.“
Im Oranje-Team hatten die fulminanten neunzig Minuten alles auf den Kopf gestellt. Vorher, nach dem 0:1 im Hinspiel („zerquetschte Orangen“), war allseits von Grabenkämpfen, Eifersüchteleien und Rivalitäten zwischen Farbigen und Weißen, Spielern von PSV und Ajax, der Barcelona-Fraktion und dem Rest, vor allem: von alt gegen jung die Rede. Ein lähmendes Spinnennetz schien über dem Team zu liegen, das die EM-Qualifikation eher verhindern konnte als die biederen schottischen Gegner.
Das Hinspiel hatten die Bravehearts glücklicher gewonnen als nachher in Überschwang hier und in Enttäuschung dort analysiert worden war. Am Mittwoch machten die Schotten die exakt gleichen Fehler, sie verwechselten Eifer mit Übereifer und wurden dafür ohne Gnade abgestraft. Verteidiger Jackie McNamara ließ sich von Marc Overmars wie im Hinspiel vorführen, Torwart Robert Douglas war noch mehr als in Glasgow ein überfordertes Sicherheitsrisiko. Auch auf dem Platz lernten die Schotten nichts. Das 3:0 war eine exakte Kopie des zweiten Gegentors vier Minuten zuvor. Das schadenfrohe Publikum kommentierte das, nach 37 Minuten, mit donnernden Sprechchören: „Schade, Berti, alles ist vorbei.“
Mittwochabend hatten die Niederländer Narrenfreiheit. Manchesters Stürmer Ruud van Nistelrooy traf dreimal: „Eine große Performance von ihm“, so sein stolzer Coach Dick Advocaat. Überragend im Mittelfeld war der 19-jährige Wesley Sneijder, der krachend die frühe Führung erzielte, drei Tore vorbereitete, gemeinsam mit seinem Ajax-Kumpel Rafael van der Vaart (20) das Spiel mit „fantastischen Pässe in die Spitze“ (Advocaat) lenkte und per unverschämtem Schlenzer noch die Latte traf. Sneijder hat in einem Jahr in der 1. Mannschaft debütiert, erstmals Champions League gespielt und jetzt erst sein drittes Länderspiel bestritten.
Hollands Kommentatoren sprechen von der Geburt einer neuen Mannschaft, einer neuen großen Periode. Vor allem: vom Ende einer Ära. Spieler wie Kluivert und Seedorf, obwohl erst 27, gelten in Holland als Altwaren, die zudem nie etwas gewonnen haben. Eine Gesellschaft, die, anders als die deutsche, offensiv auf Dynamik und Wandel setzt, will neue Gesichter. Deshalb wurden van der Vaart und Sneijder besonders umjubelt, die eingewechselten Kluivert und Seedorf trotz des euphorisierenden Spielstandes in der 2. Halbzeit gnadenlos ausgepfiffen.
Das triumphale 6:0 machte der Elf große Geschlossenheit leicht: Erst bejubelten alle Torschützen ihre Treffer demonstrativ mit den Reservespielern, dann boykottierte man nach den Giftattacken gemeinsam die Presse – alt, jung, farbig und weiß, egal wo sie spielen. Und es gab Einigkeit auch bei den Trainern. Beide wussten den Abend mit Drohungen zu beschließen: Vogts kündigte „die ganze Konzentration der Qualifikation für die WM 2006“ an. „Denn ich will mit meiner Mannschaft nach Deutschland kommen.“ Und Hollands Bondscoach Dick Advocaat sagte erleichtert: „Wir können noch besser.“ Werden sie auch müssen.Teams wie das schottische wird es bei der EM in Portugal nämlich nicht geben.