piwik no script img

Archiv-Artikel

Milbradt: „Ich will’s nicht mehr lang machen“

CDU und SPD in Sachsen stimmen einer Koalition zu. Der Ministerpräsident leistet sich politisch wie sprachlich Patzer

DRESDEN taz ■ Erst mal regieren, zanken können wir uns später. Nach diesem Motto – und bei nur sechs Gegenstimmen – verabschiedete der Sonderparteitag der sächsischen CDU am Sonnabend den Koalitionsvertrag mit der SPD. In zwei Stunden ging glatt über die Bühne, was noch Stunden zuvor nach Aufstand der Basis gegen die Parteioberen und Wahlverlierer, Ministerpräsident Georg Milbradt und Generalsekretär Hermann Winkler, gerochen hatte. Auch deren angeblicher Ausverkauf von CDU-Politik in den Koalitionsverhandlungen war plötzlich kein Thema mehr. So ähnlich liefen Parteitage vor 1989 auch ab.

Die Delegierten sahen auch großzügig darüber hinweg, dass der angeblich so clevere Taktiker Milbradt in seiner Rede einige kapitale Böcke schoss. Der am Mittwoch erneut zu wählende Ministerpräsident schien durch die Proteste aus der Jungen Union und einigen Kreisverbänden so in die Defensive geraten, dass er die Koalitionsvereinbarung als reine Fortsetzung von CDU-Politik preisen musste. Milbradt versuchte letztlich mit Erfolg die erhebliche Zahl von Nörglern zu besänftigen, die sich an eine Teilung der Macht und zumindest partielle Kurskorrekturen nicht gewöhnen können. Er riskierte dabei noch vor Vertragsunterzeichnung den ersten Krach mit dem Koalitionspartner, insbesondere mit dem noch gar nicht benannten SPD-Wirtschaftsminister. „Glauben Sie im Ernst, dass ich die Wirtschaftspolitik in die Hände der SPD geben werde?“, rief er den Delegierten zu und kündigte an, sich verstärkt selbst um das der SPD zugesprochene Ressort zu kümmern. Als er in Anwesenheit der CDU-Minister de Maizière und Flath deren Ressorts Justiz und Umwelt als zweitklassige Ministerien hinstellte, mit denen die SPD nicht abzuspeisen gewesen wäre, schien die Stimmung im Saal doch kurzzeitig zu kippen.

Einen Verlust von 16 Prozent hatte die erfolgsverwöhnte Sachsen-Union bei der Landtagswahl hinnehmen müssen, doch letztlich trauten sich weder die Kritiker des Wahlkampfes noch die Ursachenforscher nach vorne. Die drohenden Gefechte wurden auf Vorschlag des Landesvorstandes vertagt. Über eine „strukturierte Basisdiskussion“ soll die „Wiedererweckung“ der Partei in einen Grundsatzparteitag im Frühjahr 2005 münden.

Eine offene Demontage des vorläufig alternativlosen Milbradt steht nach den Signalen dieses Wochenendes aber nicht zu erwarten. Als er sein Schlusswort unfreiwillig kabarettistisch mit „Ich will’s nicht mehr lange machen“ einleitete, konnten die meisten jedenfalls lachen. Die glückliche kleine sächsische SPD am anderen Dresdner Elbufer tat sich leichter – bis auf eine Enthaltung nahm die 9-Prozent-Partei den Koalitionsvertrag an. „Wie lange haben wir auf einen solchen Tag gewartet!“, rief der ehemalige Ostbeauftragte Rolf Schwanitz. MICHAEL BARTSCH

meinung und diskussion SEITE 11