: Bangkoks harte Hand
AUS BANGKOK NICOLA GLASS
Tak Bai gilt seit kurzem als Synonym für Schrecken und Gewalt: Am 25. Oktober sind in dem kleinem Ort nahe des Golfs von Thailand und der malaysischen Grenze nach schweren Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und muslimischen Demonstranten mehr als 80 Menschen ums Leben gekommen. Sie hatten die Freilassung von sechs Inhaftierten gefordert, denen vorgeworfen wurde, Aufständischen Waffen verkauft zu haben. 78 Demonstranten sind erstickt, als sie nach ihrer Festnahme gefesselt und mit mehr als tausend anderen in völlig überfüllte Armeelaster gepfercht wurden. Weitere sechs Demonstranten wurden bei den Ausschreitungen erschossen.
Die Tragödie von Tak Bai hat die derzeitige Krise in den vorwiegend muslimisch dominierten Südprovinzen weiter verschärft. Seitdem sind bereits mindestens zehn Menschen von mutmaßlichen muslimischen Extremisten ermordet worden. Zuletzt starben am Samstag ein buddhistischer Ladenbesitzer und der Wächter eines buddhistische Schreins.
Inzwischen hat die Regierung Fehler beim Vorgehen der Sicherheitskräfte in Tak Bai eingeräumt. Den Tod so vieler Menschen bezeichnete Regierungssprecher Jakrapob Penkair als „Tragödie“, die die Regierung „zutiefst bedauere“. Zu dieser Erkenntnis ist sie freilich nicht so ganz freiwillig gelangt. Es brauchte schon eine unabhängige Untersuchung, die der Senat eingeleitet hatte.
Zuvor hatte es immer geheißen, Polizei und Militär seien auf der Jagd nach hundert mutmaßlichen Kriminellen und Aufrührern gewesen. Die aber waren laut Untersuchungsbericht unter den 1.300 Verhafteten nicht mehr auszumachen gewesen. Für den Abtransport hätten 25 Armeelaster, einige Polizeiautos und andere Fahrzeuge zur Verfügung gestanden. Die Menschen seien – gefesselt und mit den Gesichtern nach unten – vier- bis fünffach übereinander geschichtet und von Soldaten misshandelt worden, als sie um Hilfe geschrien hatten.
Das Vorgehen des Militärs sei völlig unangemessen, kritisierte Senator Nirun Phithawatcharn, Vorsitzender des Komitees für Soziale Entwicklung und Sicherheit. Zumal noch Menschen vermisst würden und die genaue Zahl der Toten noch immer nicht feststehe. Auch führten die Demonstranten keine schweren Waffen mit sich. Offiziere hatten behauptet, sie hätten Gewehre und Handgranaten in einem nahen Fluss gefunden.
Für den oppositionellen Senator Kraisak Choonhavan ist das eine Ausrede: „Ich fragte den zuständigen Kommandeur, woher er wisse, dass manche der Demonstranten Waffen mit sich geführt hätten. Er antwortete, dass er während der Verhandlungen mit der Menge den Arm um einige Leute gelegt und die Pistolen im Gürtel gefühlt habe.“ Kritiker wenden ein, dass die Protestler, wenn sie wirklich bewaffnet gewesen sein sollten, die Sicherheitskräfte auch hätten angreifen können.
Viele fragen sich, wie es zu dieser neuen Welle der Gewalt kommen konnte. Nachdem der Süden in den 70er- und 80er-Jahren mehrfach Schauplatz separatistischer Auseinandersetzungen war, folgte in den 90er-Jahren eine Zeit relativer Ruhe. Dann aber brach die Gewalt am 4. Januar dieses Jahres erneut aus: Mutmaßliche Rebellen griffen ein Armeecamp in Narathiwat an, töteten vier Soldaten und erbeuteten mehrere hundert Gewehre. Regierungschef Thaksin Shinawatra, der die Probleme im Süden lange ignorierte, schlug sofort zurück und verhängte das Kriegsrecht über drei muslimisch geprägte Provinzen.
Seit Anfang Januar starben mehr als 460 Menschen bei bewaffneten Auseinandersetzungen. Darunter waren sowohl Sicherheitskräfte als auch buddhistische und muslimische Zivilisten. Wer hinter den Attentaten steckt, weiß bis heute niemand. In der offiziellen Darstellung mutierten die Angreifer von Banditen zu Terroristen und dann wieder zu Kriminellen, die nur Waffen stehlen wollten.
Die mehrheitlich moderaten Muslime der Region fühlen sich ohnehin als Sündenböcke für Bangkoks verfehlte Politik: Ständig werden Vorwürfe über den Machtmissbrauch der von Bangkok eingesetzten Autoritäten laut. Es kursieren Namenslisten von Menschen, die seit der Verhängung des Kriegsrechts verschwunden sind. Prominentester Fall dürfte der des Muslim-Anwalts Somchai Neelapaijit sein. Er war am Abend des 12. März nach einem Treffen in der Hauptstadt Bangkok verschwunden. Bis heute fehlt jede Spur von Somchai, der sich mehrfach für die Aufhebung des Kriegsrechts stark gemacht hatte.
Insgesamt ist die Gewaltspirale eher politisch-kultureller als religiöser Art. Traditionell gilt der arme, unterentwickelte Süden als Hochburg der Demokratischen Partei, der politischen Rivalin von Thaksins regierender „Thai Rak Thai“ (Thais lieben Thais). Die Demokraten hatten immerhin versucht, den Problemen des Südens zu begegnen, indem sie ein Netzwerk von Experten eingerichtet hatten, die teils selbst aus dem Süden stammten.
„Viele Buddhisten im übrigen Thailand wissen nichts darüber, was hier passiert, sie glauben, dass die Probleme allein von den Muslimen ausgehen“, sagt Louis, muslimischer Englischlehrer in Narathiwat. Die Probleme der Muslime mit den lokalen Autoritäten sowie die Rivalitäten zwischen Polizei und Militär habe es aber immer schon gegeben.
Eine Lösung, die Gewalt zu beenden, ist nicht in Sicht – weder Regierung noch Armee scheinen aus den blutigen Auseinandersetzungen gelernt zu haben. Die Vorfälle von Tak Bai gelten als eine Wiederholung dessen, was sich bereits am 28. April ereignet hatte: An jenem Tag waren rund 107 junge, mit Messern und Macheten bewaffnete Muslime von Militärs getötet worden. Die älteste Moschee der Provinz, die Krue Se Moschee in Pattani, wurde mit Handgranaten beworfen und anschließend mit Waffengewalt gestürmt, weil sich dort etwa 30 Angreifer verschanzt hatten. Die mutmaßlichen Rebellen hatten Sicherheitsposten attackieren wollen. Doch die Einsatzkräfte seien vorher gewarnt worden – die Erschießungen also unnötig gewesen, monierte später eine Untersuchungskommission.
Tak Bai gilt als noch tragischer: Denn die meisten der rund zweitausend, die vor der Polizeiwache in Tak Bai protestierten, wollten Gerechtigkeit oder kamen nur aus Neugier an den Schauplatz. Aber sie seien keine Kriminellen gewesen, bilanzierte Senator Nirun Phithawarcharn.
Der sowohl von Buddhisten als auch von den Muslimen Thailands verehrte König Bhumipol hatte Premier Thaksin kürzlich aufgefordert, die harte Gangart gegen den Süden aufzugeben. Auch die muslimischen Geistlichen des Landes drängen weiterhin auf eine politische Lösung. Die Regierung habe ganz klar Fehler gemacht, so Imam Winai Sama-oon, Mitglied des Zentralen Islamischen Komitees. Es genüge nicht, nur Armeekommandeure ihrer Posten zu entheben.
Trotz aller Appelle aber wird die Regierung wohl an ihrer Law-and-Order-Politik festhalten. Sie befürchtet, dass ein weniger martialisches Vorgehen ihr als Schwäche ausgelegt werden könnte. In seiner wöchentlichen Radioansprache schloss Thaksin am Freitag Verhandlungen mit muslimischen Separatisten aus und drohte jedem, bei dem ein Sturmgewehr oder Bombenmaterial gefunden werde, mit der Todesstrafe.