Rückkehr zur Normalität

In Gelsenkirchen wird heute der Grundstein zur neuen Synagoge gelegt. Gemeinde will mit der Wahl von Ort und Datum an Vergangenheit erinnern. Antisemitische Hetze begleitet die Diskussionen

VON HOLGER PAULER

Während bundesweit der Fall der Berliner Mauer, heute vor gerade einmal 15 Jahren, historisch begangen wird, findet in Gelsenkirchen eine wesentlich bemerkenswertere Rückkehr zur gesellschaftlichen Realität in Deutschland statt. 66 Jahre nach der Zerstörung der ersten Gelsenkirchener Synagoge in der Reichpogromnacht vom 9. auf den 10. November findet am Ort der alten Synagoge die Grundsteinlegung zum Bau der neuen Synagoge statt. NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) und Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nehmen an der Gedenkveranstaltung teil.

„Der neunte November ist natürlich ein bedeutsames Datum für uns“, sagt Judith Neuwald-Tasbach von der jüdischen Kultusgemeinde in Gelsenkirchen. Die Grundsteinlegung erfolge bewusst an Tag und Ort der Zerstörung der alten Synagoge. „Als Erinnerung.“ Der Neubau war notwendig geworden, da sich das alte Haus mit seinen 100 Plätzen als zu klein erwies. In der neuen Synagoge haben 450 Menschen Platz. Außerdem hofft die Gemeinde, dass durch den sichtbaren Platz im Zentrum der Stadt, die bereits vorhandene Akzeptanz und Zustimmung in der Bevölkerung weiter wachse. „Früher gehörte jüdisches Leben in Deutschland zur Normalität“, so Neuwald-Tasbach. Obwohl es keine konkreten Hinweise über eventuelle Störungen gibt wird es hohe Sicherheitsvorkehrungen geben. Man wolle bei der Grundsteinlegung keine Risiken eingehen, sagt Neuwald-Tasbach.

Vom Neubau ist die jüdische Gemeinde im benachbarten Bochum noch etwas entfernt. Auf der heutigen Gedenkveranstaltung in Bochum wird der Öffentlichkeit eine Stele mit der Erinnerung an Bau und Zerstörung der alten Synagoge übergeben „Öffentliche Proteste aus der Bevölkerung gegen die Zerstörung sind nicht bekannt geworden“, heißt es dort. Gegen den Bau der neuen Synagoge zogen in diesem Jahr rechtsradikale Gruppierungen durch die Straßen. Ihr Motto: „Keine Steuergelder für den Synagogenbau“. Nach mehrmaligen Verboten durften die Neonazis im Juni marschieren – ein Bündnis aus Politik, Kirche und anderen Teilen der Gesellschaft stellte sich diesmal entgegen.

Wie antisemitisch und offen in der Tradition des Nationalsozialismus stehend mittlerweile die Neonazis im Ruhrgebiet auftreten zeigt sich nicht nur im Fall der Bochumer Synagoge. Für heute war eine von Neonazis in Essen ein „Fackelzug“ vor die alte Synagoge gegen die „Einflussnahme der jüdischen Rasse auf unser Land“ für das „glorreiche Symbol des nationalen Sozialismus“ angemeldet. Der Aufmarsch wurde vom Polizeipräsidenten Heinz Schenkelberg verboten. Er bezeichnete dies als eine „unverschämte Provokation“. Gegen den Unterzeichner des Aufrufs wurde mittlerweile Strafanzeige gestellt. „Sollte der Aufmarsch wider erwarten genehmigt werden, wird es massive Gegenaktionen geben“, sagt Dieter Seifert vom verdi-Bezirk Essen und Mitglied im Bündnis „Essen stellt sich quer“. Eine Genehmigung der Neonaziaktivitäten gerade am neunten November würde die Republik 15 Jahre nach dem Mauerfall erneut tiefgreifend verändern.