: Trautes Heim? Pack es ein!
Die Eigenheimzulage soll halbiert werden. Damit hat sich der Traum von der eigenen kleinen Festung überlebt. Das Eigenheim nicht. Es passt sich der mobilen Gesellschaft an
VON SUSANNE LANG
„Wen würdest du nehmen: den Typ mit dem Candle-Light-Dinner oder den mit dem Haus?“ – „Natürlich den mit dem Candle-Light-Dinner.“ – „Und am nächsten Morgen, wenn die Kerzen heruntergebrannt sind, ist der Typ weg.“ – „Dann lieber den mit dem Haus.“ (Auszug aus einem Werbespot der Bausparkasse Schwäbisch Hall)
Herr Schröder ist so ein Typ. Ein Mann Marke Eigenheim, verlässlich und bodenständig, einer, der schnell noch zugepackt und gebaut hat, bevor die Regierung die staatliche Förderung für Eigenheime streichen könnte. Er hat es trotzdem nicht leichter. Mit seiner Frau, der Mutter, den Onkels und Nachbarn steht er um ein knöchelhohes Karree aus Holzbrettern, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, die Regentropfen perlen in Strömen ab. In ein paar Wochen soll das Karree zum eigenen Zuhause gewachsen sein. Der Himmel ist grau, die Wolken schwer. Es regnet. Gießt in das zukünftige Kinderzimmer hinten links, ins Schlafzimmer daneben, in Küche, Bad und Wohnzimmer. Ein schlechter Tag für das Häuslebauer-Glück, ein besonders schlechter Tag für eine Fertigholzbude zum Selberbauen wie die der Schröders. Ihrem jungen Glück steht das Wasser im Fundament. Die Kameras von RTL 2 halten drauf.
Was Privatsender zur Zeit als „Dokutainment“ in Dutzenden Folgen ins Programm nehmen und Bausparkassen so stark bewerben, als herrsche Häuserschlussverkauf, ist für viele ein Lebenstraum: das eigene Heim. Und das steht zurzeit nicht nur bei den RTL 2-Schröders aus der Nähe von Stuttgart kräftig im Regen. War die Vision vom Eigenheim bisher mit staatlicher Hilfe zu verwirklichen, so droht sie nun den Sparmaßnahmen zum Opfer zu fallen. Die Bundesregierung will die Eigenheimzulage ganz abschaffen, der Vermittlungsausschuss hat nun am vergangenen Freitag vorgeschlagen, sie nur um die Hälfte zu kürzen. Nicht nur weil im Staatshaushalt große Löcher klaffen und daher auf immer mehr Subventionen verzichtet werden soll. Die Zulage steht auf der Kippe, weil keine Wohnungsnot mehr herrscht wie etwa in den Nachkriegsjahren. Einer Zeit, in der die Politik daher nicht nur den sozialen Wohnungsbau entdeckte, sondern auch den Wunsch der kriegsgeplagten Deutschen nach einem sicheren und eigenen Zuhause unterstützte, indem sie Eigenheime finanziell förderte. Ein ähnliches Bedürfnis entwickelte sich noch einmal nach der Wende, als der Begriff des Eigenheims im Osten Deutschlands aufblühte und die Platte in den Schatten stellte.
Nun ändert sich diese Politik – zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Und Bauindustrie sowie Bausparkassen schreien auf. Familienfeindlich! Unsozial! Der Tod des Eigenheims! Womit sie natürlich ihren eigenen befürchten müssen. Was der Abgesang daher wohlweislich verschweigt, ist die eigentliche gesellschaftliche Bedeutung des Eigenheims, die nicht mit der Zulage begraben werden wird. Der Traum von der eigenen kleinen Festung, in die man sich zurückzieht, in die kein Staat und keine Politik eindringen können, gehört zu einem Lebensentwurf, den auch jene Mädchen aus dem Bausparkassen-Werbespot als eigentlich sexy verkaufen. Ein Lebensstil, dessen Selbstverwirklichung in der Beständigkeit liegt: feste Arbeit, feste Ortsgebundenheit und feste soziale Strukturen im nachbarschaftlichen und familiären Zusammenleben. Deshalb sägen und zimmern bei den RTL 2-Schröders auch ganz selbstverständlich die Nachbarn mit.
Das Eigenheim ist die Homebase mittendrin, ein Ort der Geborgenheit, an dem sich Familien gründen und später Ruhestände verbracht werden. Eine Burg des Mittelstands, der nicht zwingend politisch-ideologisch definierbar ist – die Klientel der Grünen wohnt ebenso gerne in eigenen Wänden, wie es die Schröders aus dem Schwäbischen oder ihr prominenter Namensvetter, der Bundeskanzler, in der Hannoveraner Eigenheim-Siedlung tun. Solange sich dieser mittelständische Lebensentwurf behaupten kann, wird auch das Eigenheim nicht sterben. Denn die Form des Wohnens und die Vorstellung eines idealen Wohnstils spiegeln gesellschaftliche Lebensentwürfe.
Diese verändern sich jedoch. Dass der Staat selbst nun die Eigenheimzulage als verzichtbar ansieht, ist eine Reaktion auf diese Veränderungsprozesse. In Wirklichkeit konkurrieren heute angeblich sexy Typen mit eigenem Haus weniger mit romantischen Taugenichtsen als vielmehr mit modernen „Allesfressern“. Diese leben heute in Schwaben und morgen in Thüringen. Sie arbeiten heute als Manager und morgen als Selbstständige. Sie wohnen heute in Mietwohnungen und ziehen morgen in Appartements. Sie sind jung, gut gebildet und flexibel, weshalb sie all das fressen und verdauen können, was ihnen eine immer flexiblere und mobilere Gesellschaft auftischt. Allesfresser können sich jederzeit an veränderte Arbeits- und Lebensstrukturen anpassen. Um diesen Lebensstil verwirklichen zu können, ordnen sie auch ihre Wohnbedürfnisse unter. Den Wunsch nach einem geborgenem Zuhause hegen sie trotzdem und gerade aufgrund ihrer Flexibilität. Das Eigenheim wird daher seine Chance behalten – vorausgesetzt, es kann sich diesem Lebensstil anpassen.
Wie wird dieses Heim der Zukunft aussehen? Designer und Architekten haben in Wohnvisionen für das 21. Jahrhundert Fassaden und Grundrisse modelliert. Eine neue Homebase für den alles fressenden Job-Nomaden, die mit dem Besitzer umzieht und an jedem Ort der Welt ein Fleckchen Geborgenheit gewährt, ist der so genannte Wohnparasit. Er lässt sich weltweit an jedem beliebigen Ort aufklappen wie ein Zelt und bietet dem Bewohner dabei weit mehr als nur ein Dach über dem umtriebigen Kopf. Wohnparasiten werden direkt an Wolkenkratzer angedockt und finden so Anschluss an die Ressourcen zeitgemäßen Wohnens. Sie versorgen sich auf diese Weise mit Wasser und Strom, die sie aus der Infrastruktur der Wolkenkratzer-Wirte abzapfen.
Ähnlich mobil begleiten andere Entwürfe, für so genannte Containerhäuser, die modernen Job-Hopper. Wie die Haut eines Chamäleons passen sie sich an ihre Umgebung an: Ihr Innenleben, Schlafzimmer, Küche, Bad, hat keine starren Außenmauern mehr, sondern passt sich am neuen Wohnort in leer stehende Fassaden ein. Ein Fleckchen Geborgenheit, das nicht mehr in Ziegelstein und Beton gemörtelt ist, nicht mehr an einem festen Ort beheimatet ist, aber trotzdem einen festen Bewohner beherbergt: das Eigenheim mit neuer Fassade. Keine Festung mehr, sondern zweite Haut, eine Wohnhaut.
Eine weitere Variante der schönen neuen Wohnwelt steht sogar zum Bauen nahe: Die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin feilt an einem „nachwachsenden Haus“, für das es demnächst erste Modelle zu besichtigen geben wird. Nachwachsen wird es nicht nur in ökologischem Sinne – es kann aus Holz oder sogar Lehm gebaut werden –, sondern auch in Größe und Funktion. Diese kann das Haus flexibel verändern, bleibt dabei aber am gleichen Ort. Je nach den Bedürfnissen des Bewohners – heute ein Heim für den Single, morgen für das Paar und übermorgen für die Familie – können verschiedene Räume und Hausteile an- und wieder abgebaut werden.
Was ungewöhnlich klingt, hat in anderen Ländern Tradition. In Griechenland bauen Familien vor allem in ländlichen Regionen generationenübergreifend und lebenslänglich an einem eigenen Heim. In Deutschland lebte die Idee in den 30er-Jahren schon einmal auf: Bauhausarchitekten hatten Entwürfe für ein mitwachsendes Haus entwickelt. Nun stehen die Chancen nicht schlecht, dass sie sich durchsetzen. Wobei der Typ mit dem Haus seine Chance behält, auch wenn er nach dem Candle-Light-Dinner mit seinem Heim weg sein könnte.