: Mit Credits flexibel studieren
Verbrauchsabhängige Studienkonten sind eine Alternative zu Studiengebühren und schaffen neue Anreize für Studierende und Universitäten. Studiencredits sollten künftig individuell in einer festgelegten Regelstudienzeit verbraucht werden können
VON DIETER DOHMEN
Seit einigen Wochen kocht die Diskussion über Studiengebühren wieder hoch. Viele der gewünschten Wirkungen ließen sich auch ohne Gebühren erreichen, wenn stattdessen verbrauchsabhängige Studienkonten eingeführt würden, wie sie das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) entwickelt hat.
Studierende haben keine Anreize, sich zu outen, ob und wie viel sie wirklich studieren, bis Langzeit-Gebühren drohen. Die Hochschulen haben genauso wenig Interesse nachzuzählen. Niemand weiß genau, wie viel Studierende tatsächlich studieren. Das Konzept des Studiencredit-Modells setzt genau hier an. Die Studierenden erhalten ein virtuelles Verfügungskonto, das ihnen ein gebührenfreies Studium innerhalb bestimmter und deutlich über das normale Studienpensum hinausgehender Kontingente ermöglicht. Verbrauchsabhängig heißt, die Abbuchung erfolgt so, wie tatsächlich studiert wird. Das Konto passt sich flexibel und unbürokratisch an das Studierverhalten jedes einzelnen Studierenden an.
Ein solches Studienkonto ist deshalb unbürokratisch, weil es sich in zwei wesentlichen Punkten vom pauschalen Abbuchungsmodell unterscheidet, wie es in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz praktiziert wird. Von bestimmten Ausnahmen abgesehen, richtet sich die gebührenfreie Studiendauer im Studiencredit-Modell nach dem individuellen Studierverhalten. Für Vollzeitstudierende endet sie nach 12 Semestern, für Teilzeitstudierende nach 14, 16 oder auch 20 Semestern – ohne dass besondere Anträge gestellt werden müssen.
Der zweite Unterschied ist, dass die Hochschulen – über ihre Grundfinanzierung hinaus – nur Geld für tatsächlich nachgefragte Leistungen erhalten. Es lohnt sich also, Veranstaltungen anzubieten, die die Studierenden auch interessieren oder wichtig für das Studium sind. Es lohnt sich auch, zusätzliche Kapazitäten bereitzustellen, wenn Studierende noch unversorgt sind. Im heutigen System oder beim pauschalen Studienkontenmodell haben die Hochschulen keinen Anreiz dazu.
Machen wir zur Veranschaulichung eine Zeitreise ins Jahr 2012. Stefan studiert er an der Uni Sozialwissenschaften (Bachelor) und betreibt nebenher Leistungssport. Mittlerweile ist er im 9. Semester. Bei Studienbeginn hat Stefan ein Studienkonto mit 216 Credits erhalten, wodurch er sein Studium, das eigentlich auf 6 Semester angesetzt ist und für das er 180 Credits benötigt, gebührenfrei absolvieren kann. Da das Konto mehr Credits enthält, als er braucht, kann er einige Module wiederholen oder zusätzlich belegen. Die nicht verbrauchten Credits kann er für sein Master- oder ein Weiterbildungsstudium einsetzen, wobei er für das Master-Studium noch einmal ein neues Kontingent bekäme. Gebühren muss Stefan dann immer noch nicht zahlen, da die Abbuchung verbrauchsabhängig erfolgte. So kann er sein Studium problemlos mit dem täglichen Training und den Wettkämpfen verbinden.
Stefans älterer Bruder Thomas musste neben dem Studium arbeiten, um seinen Unterhalt etwas aufzubessern. Thomas hat noch unter dem alten Studienkontensystem an der Uni Bonn studiert. Das war im Prinzip genauso gut ausgestattet wie das Konto von Stefan. Auch er hatte ein Verfügungskonto mit einem Guthaben, das 20 Prozent mehr an Semesterwochenstunden enthielt, als er eigentlich benötigte. Bei ihm wurde das Guthaben aber noch pauschal abgebucht. Jedes Semester wurde ihm die Hälfte an Semesterwochenstunden abgebucht, egal wie viele Veranstaltungen er tatsächlich belegte. Genau das wurde ihm zum Verhängnis. Er hat Studium und Arbeit so eingeteilt, dass er nach 9 Semestern fertig geworden wäre, gerade noch innerhalb der Regelstudienzeit. Und dann hat er eine Klausur nicht bestanden und musste ein Semester wiederholen. Im seinem 10. und letzten Semester musste er daher Studiengebühren zahlen.
Es gibt viele Gründe, warum ein Studium anders verläuft, als man sich das vorstellt und plant. An deutschen Hochschulen kommt hinzu, dass man in Veranstaltungen häufig nicht hineinkommt, weil sie zu voll sind oder weil sie sich mit anderen Veranstaltungen überschneiden. In der Anfangsphase gibt es vielfach übervolle Hörsäle, während im Hauptstudium Veranstaltungen mangels Teilnahme nicht mehr das Semesterende erleben.
Von studentischer Seite wird gern kritisiert, dass mit einem Studiencredit-Modell der Studienumfang kontingentiert wird und es somit den Studenten nicht ermöglicht wird, über „den Tellerrand“ hinauszuschauen. Ja, es wird kontingentiert, aber 20 Prozent mehr Credits, als das Pflicht-Volumen erfordert, lassen genug Spielraum, um fast allen Studierenden ohne zusätzlichen Regelungsbedarf gerecht zu werden. In einigen Fällen wird man politisch entscheiden müssen, was gewünscht wird. So kann ein Doppelstudium ebenso ermöglicht werden wie interdisziplinäres Studieren. 10 oder 15 Credits, die nur dafür verwendet werden dürfen – warum nicht?
Ein weiteres Argument gegen das Credit-Modell lautet, wissenschaftlich wichtige Themen mit wenig Nachfrage würden benachteiligt und gute Entertainer belohnt. Richtig ist, dass bei geringer Nachfrage die Diskussion einsetzen wird, warum dies der Fall ist, ob das Thema wirklich so wichtig ist oder die Qualität der Veranstaltung nicht verbessert werden kann. Wichtige Veranstaltungen werden kaum abgeschafft, aber wohl dorthin verschoben, wo sie hingehören – ins Master- oder Weiterbildungsstudium.
Ein anderes Argument rügt die mangelnden Anreize zur Verkürzung der Studiendauer. Das Studienkontenmodell wirkt über andere Mechanismen. Einmal angemeldet, verliert man Verfügungsmasse und wird sich überlegen, ob man eine Veranstaltung unnötig abbricht. Bei Krankheit wird man das Konto sicher wieder auffüllen können. Entspricht die Veranstaltung nicht den Anforderungen oder fällt aus, wird die Hochschule für Abhilfe sorgen müssen.
Das verbrauchsabhängige Credit-Modell nimmt beide Seiten mehr in die Pflicht und beendet die bestehende organisierte Verantwortungslosigkeit.
Dr. Dieter Dohmen ist Leiter des Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in Köln. Die detaillierteren Überlegungen zum Studienkontenmodell können und www.fibs-koeln.de (FiBS-Forum) heruntergeladen werden.