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Archiv-Artikel

Georgier mit ihrer Geduld am Ende

Anfangs wurde Eduard Schewardnadse als Retter begrüßt. Doch hat er als Präsident weder die nach Unabhängigkeit strebenden Regionen befriedet noch ernsthaften wirtschaftlichen Fortschritt erzielt

ISTANBUL taz ■ Wer in den letzten Jahren den Rustaweli-Prospekt, den Prachtboulevard von Tiflis, hinunterschlenderte, stolperte immer wieder über dicke Elektrokabel und die dazugehörigen Generatoren. Noch zehn Jahre nachdem Georgien sich aus der untergehenden Sowjetunion als selbstständiger Staat etablierte, ist die Strom- und Energieversorgung ein großes Problem. Ein paar Stunden am Tag gehen die Lichter an, man weiß aber nie, wann das sein wird. Wer es sich leisten kann, kauft sich deshalb einen Generator. Nicht viel besser sieht es mit dem Einkommen aus. Wer nicht gerade einen Job beim Staat oder einer internationalen Hilfsorganisation ergattert hat, muss sich meistens mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen. Mehr als umgerechnet 50 Euro pro Monat gelten schon als gutes Einkommen.

Diese und andere Missstände haben dazu geführt, dass die Georgier von ihrem Präsidenten die Nase voll haben. Elf Jahre nachdem der weißhaarige, immer so versöhnlich dreinblickende Ex-Außenminister von Moskau nach Tiflis zurückgekehrt war, scheint es, als sei Eduard Schewardnadses Vertrauensvorschuss endgültig verbraucht.

Dabei war er anfangs als Retter begrüßt worden. Der erste frei gewählte Präsident des Landes, Swiad Gamsachurdia, ein bekannter Literat und Dissident zu Sowjetzeiten, hatte sich als glühender Nationalist entpuppt und binnen kurzem alle ethnischen Minderheiten des Landes gegen die junge Republik aufgebracht. Das Land stand in Flammen, in Tiflis tobten Kämpfe und es drohten Bürgerkriege in Abchasien und Südossetien. Der politisch erfahrene Schewardnadse, vor seiner Zeit als Gorbatschows Außenminister bereits jahrelang KP-Chef Georgiens, schien der einzige Garant für Frieden und Stabilität zu sein.

Schewardnadse konnte zwar den Krieg auf den Straßen von Tiflis stoppen, doch die Unabhängigkeitsbestrebungen in der Schwarzmeerprovinz Abchasien versuchte auch er militärisch zu beenden – und erlitt dabei eine vernichtende Niederlage, die ihn auch persönlich fast das Leben gekostet hätte. Seitdem, seit 1995, lavierte Schewardnadse hilflos hin und her: zwischen Russland, der Schutzmacht Abchasiens, den einheimischen Nationalisten und den USA, die frühzeitig versuchten, Georgien zu ihrem Einflussgebiet im Südkaukasus zu machen. Obwohl die USA, Deutschland und andere europäische Länder nicht zuletzt aus Verbundenheit mit Schewardnadse nicht wenig Geld in das kleine, nur 5 Millionen Einwohner zählende Georgien pumpten, verfiel das Land weiter, und das Geld versickerte in dunklen Kanälen. Zuletzt stellte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Zusammenarbeit mit Georgien wegen Korruption ein. Weder entstand eine nennenswerte private Industrie, noch gelang es, die Landwirtschaft, die früher die Sowjetunion mit Zitrusfrüchten und Wein versorgte, profitabel zu machen.

Für die meisten Georgier wurde die Unabhängigkeit zu einem dramatischen sozialen Abstieg. Die einst reichste Sowjetrepublik, in der es sich am angenehmsten leben ließ, konnte die Grundversorgung ihrer Bürger nicht sicherstellen. Stattdessen gibt es nun Läden für Importwaren, die sich kein normaler Georgier leisten kann. Lange haben die Georgier trotzdem Schewardnadse vertraut. Er war, wenn auch kein wirklicher Demokrat, doch weniger brutal als Gaidar Alijew, der Despot im benachbarten Aserbaidschan. Und Georgien war trotz aller Stagnation immer noch besser dran als das völlig verarmte Armenien. Doch jetzt ist die Substanz aufgezehrt, die Bevölkerung mit ihrer Geduld am Ende. JÜRGEN GOTTSCHLICH