: Das Orchester ist eine Schallplatte
... und die DJane ist Symphonikerin: Was herauskommt, wenn man zwei scheinbar gegensätzliche Musikstile und Arbeitsweisen verbindet, zeigt derzeit die Landesarbeitsgemeinschaft Rock in Niedersachsen mit „Philharmonic Phunk“
von Kerstin Fritzsche
„DJ Culture – dance with me“ sangen die Pet Shop Boys 1991 und prägten damit einen Begriff, den die Zeitungsfeuilletons benutzten, wenn sie vom Phänomen Techno sprachen und den Musikliebhaber hinter den Turntables nicht als bloßen Plattenaufleger, sondern echten Musiker porträtierten.
Heute ist längst klar, dass der Diskjockey auch als Produzent arbeitet, aber diese Neudefinition gibt es erst seit den 1990er Jahren, dank des Siegeszuges von Techno und House, wie in Ulf Poschardts Kulturgeschichte des DJ-ing „DJ- Culture“ nachzulesen ist. Der Münchner Pop-Philosoph betont, dass das Scratchen und Mixen von Schallplatten seinen Ursprung woanders hat: Nämlich in der jamaikanischen Reggae-Bewegung und der Erfindung von Sound Systems, einer Art Musikerkollektiv, in den 1960er Jahren. Schon damals wurden Beats mit „echten“ Symphonien gemischt und elektronische Musik mit Klanginstrumenten gekreuzt.
Diese alte musikalische Verbindung hat nun die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Rock in Niedersachsen, die nicht nur Rockmusik fördert, wieder aufleben lassen. So interpretiert das 16-köpfige HELIOS-Kammerorchester Hannover in einer „Reise durch 40 Jahre DJ-Geschichte“ Loops und Tunes elektronischen Ursprungs, während die Hamburger DJane Maya Consuelo Sternel wahlweise Beats oder Melodien vom Plattenteller unterlegt und die Samples schafft. Neun Stücke stehen für diese Reise, angefangen bei James Browns legendärem „Funky Drummer“ über die verschiedenen Nachfolgegenres wie Beat, Boogie, TripHop, Disco, Motown, Dancehall bis zum heute weit verbreiteten Drum ‘n‘ Bass.
Ausgesucht und in eigenen Kompositionen arrangiert wurden die Titel gemeinsam von Sternel, dem musikalischen Leiter Alex Goretzki und Edu Wahlmann, der als Geschäftsführer der LAG Rock das Projekt auch künstlerisch betreute. Eine Moderation vom Band ergänzt das musikalische Spiel auf der Bühne durch Erklärungen zu den einzelnen Epochen der DJ-Kultur und bietet Hintergrundinfos über die Stückauswahl – sehr mutig, mit jeweils ein bis zwei Titeln pro Dekade eine ganze Bewegung präsentieren zu wollen. Dies ist zwar gelungen, erinnert aber ein bisschen an ein medienpädagogisches Projekt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Doch darum gehe es den Veranstaltern nicht, erklärt Edu Wahlmann: „Die Moderation entstand erst in den Proben. Wichtig ist uns die Überkreuzung von Musikstilen und deren Verwebung.“ Und Alex Goretzki ergänzt: „Wie nah sind sich Dinge, die scheinbar weit auseinander liegen? Wir wollten bewusst kein ‚Klassik meets Pop‘, wie das schon weit verbreitet ist, sondern beide Richtungen in ihrer Historie gleichberechtigt stehen lassen, um zu gucken, wo es gemeinsame Backgrounds gibt.“
Diese Gemeinsamkeiten entwickeln sich auf der Bühne allerdings erst zaghaft, sodass der Eindruck überwiegt, doch in einer klassischen Konzertsituation zu sein, die ab und zu von elektronischen Sounds untermalt wird. Erst nach der Pause entwickelt „Philharmonic Phunk“ ein wenig Eigendynamik. Beim Arrangement „Amour digitale“ nach Lil Louis‘ „French Kiss“ weiß man plötzlich nicht mehr, wer die Rolle des Symphonikers hat und wer die der Beat Box, und ob die Temposteigerung durch Dirigent Kerry Jago kommt oder vom Schlagzeug.
Wer allerdings das vollmundig angekündigte „neuartige Bühnenkonzept“ erwartet, wird bitter enttäuscht: Der Bühnenraum wird viel zu selten aufgebrochen, und die Choreographie ist dann eher ein irritierendes als ein auflockerndes Element. Hier könnte das Projekt inszenatorisch noch mehr wagen, damit auch die Bühnenarbeitskonventionen von Orchester und DJ aufgeweicht werden. Schade ist auch, dass Orchester und DJ nicht live aufeinander reagieren können, so wie der DJ sonst auf sein Clubpublikum reagiert, sondern dass beide auf den Einsatz des Dirigenten angewiesen sind. Dennoch – bei nur dreieinhalb Probentagen und einem so großen Team eine große Leistung.
Für die HELIOS-Philharmonie war es übrigens sehr schwer, nicht strikt nach Noten zu spielen und sich in elektronische Musik hineinzudenken. Und DJ Maya C. Sternel hatte nicht wie sonst im Club die Freiheit, ihren spezifischen Sound aufzubauen, sondern musste sich an einen festen Rahmen halten. „Philharmonic Phunk“ schafft, wie auch schon sein Vorgänger „Crossfade“ im Jahr 2003, bei dem klassische Musik das Ausgangsmaterial für eine Orchester-DJ-Jam war, den Sprung aus einem Nischendasein heraus und vereint unterschiedliche Publikumsschichten. In diesem Sinne hat das Projekt sein Ziel erreicht: Man will explizit für ein Publikum mit Vorurteilen spielen, wie Alex Goretzki es formuliert. „Philharmonic Phunk“ bringt endlich zusammen, was schon immer zusammengehört hat und löst die gern gepflegte Unterscheidung von E- und U-Musik auf – ein ziemlich grooviger Cut‘n‘Mix.
Weitere Termine von „Philharmonic Phunk“: 11. November, MUSA Göttingen; 13. November, Lagerhalle Osnabrück. Beginn jeweils 20 Uhr, Preis 13 Euro, ermäßigt 11 Euro