Maria Fuchs und Sascha Mynarik lesen im Literaturhaus aus Christian Morgensterns „Das große Lalula“
: Prozession zum Mond

Es ist eine so gelungene Illustration. Eine so unglaublich plastische Demonstration der Tatsache, dass Sprache nichts mit Begreifen zu tun hat. Dass Bild und Sprache eventuell sogar stark differieren. Und dass sich Sprache – von dem, der‘s mag – beliebig oft zersägen lässt, ohne dass sie ernsthaft Schaden nähme: Christian Morgensterns Gedicht „Das große Lalula“ hat Norman Junge in einem neuen Kinder(?)buch illustriert, aus dem die SchauspielerInnen Maria Fuchs und Sascha Mynarik jetzt im Literaturhaus lesen.

Der Inhalt? Eine absurd-phantastische Geschichte, die ohne weiteres Max Ernst und Giorgio de Chiricio gefallen hätte. Der Versuch, die Lautketten mit den Bildern in Kongruenz zu bringen, ist bei der Lektüre dieses Buchs übrigens zum Scheitern verurteilt, aber das ist ja auch nicht Sinn der Übung. Auf die Bilder allein ist Verlass, tieferer Sinn des Silbengewirrs vielleicht später zu ergründen; zunächst aber regiert die Illustration: Von unbekannten Monden kommt eine winzige Frau herabgeschwebt, hinein in eine hölzerne Arena, auf der allerlei Getier marschiert: Ein lächelnder Mund, ein Kopf auf Rädern, eine wippende Maske – und sie alle tragen Geschenke, rufen laut „Semememi!“ in die Welt.

Einem Ozeandampfer streben sie zu, der zwecks Orientierung am Halbmond festgebunden. Entladen wird das Boot dann anderswo, von winkenden Kreiseln, Kannen und Bottichen begrüßt – und bald wieder verabschiedet von aus dem Boden gezaubertem püppischem Personal. Kauderwelsch-Embleme haben sich flugs in Rosen verwandelt; auch ein Abschieds-Fernrohr ist zu sehen.

Vom Changieren zwischen Erzähl- bzw. Rahmenhandlung – das Mondfrauchen schaukelt einem nashorn-artigen Mondmännchen entgegen, aber noch erreichen sie sich nicht – und liebenswertem Holzpersonal lebt die Geschichte, deren wichtigstes Motto lautet: Wir assoziieren frei. Ein lebendiges Nashorn ist da zum Beispiel plötzlich zwischen die Hölzernen geraten, und mehre Zentauren springen durch Feuerreifen.

Surreal baut der Illustrator Schicht auf Schicht, als könne man die Welt zu allen Seiten hin aufklappen und immer neues Personal hervorfischen. Auch die zeichnerische Perspektive wird bis zur Unverfrorenheit verschoben, ohne dass der Plot – der fröhliche Tanz des Paares – verloren ginge: Ins Gleichgewicht bringt die Mondfrau schließlich den Nashorn-Mann, als er auf der Wippe schwankt.

Wie‘s weitergeht, entzieht sich abermals der Logik; der Wunsch, eine komplette Geschichte zu erzählen, hat den Illustrator deutlich nicht umgetrieben. Das freie Spiel mit Konstruktionen, das Auf- und Abwippen von Silben und Dingen interessiert ihn mehr. Und fast en passant bemerkt man, wie ein beim Bau hinderliches hölzernes Huhn aus dem Wege geschoben wird: Ist nicht letztlich alles aus dem gleichen Holz, derselben materialisierten Energie? Und wird nicht alles zur gleichen Sorte Staub verfallen? Doch wie auch immer: Hauptsache, für den Moment tanzt es, das Universum, kreiert und gebiert sich in Phantasmagorien ständig neu.

Allerdings – so ganz ziellos verläuft die Morgenstern‘sche Geschichte hier ja nicht: Am Ende fliegen sie Hand in Hand davon, die Mondfrau und der Nashorn-Mann, begleitet vom letzten Schlag eines roten Hämmerchens auf einem Spinett irgendwo da droben ...

Petra Schellen

Christian Morgenstern: Das große Lalula. Illustrationen von Norman Junge. Berlin 2004, 40 S. 15 Euro. Lesung mit Maria Fuchs und Sascha Mynarik.: Do, 11.11., 15 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38