: Die Diva in der Nische
Als würden zwei Radios gleichzeitig laufen: Die Kölner Sängerin und Produzentin Yvonne Cornelius alias Niobe verknotet fernöstliche Melodien, afrikanische Rhythmen und ihre eigenen Traumreste zu etwas Neuem. Gemeinsam mit Mouse On Mars tritt sie nun heute in der Volksbühne auf
VON GUIDO KIRSTEN
Niobes Musik klingt, als wäre es nach stundenlangem Herumschrauben an einem kleinen Radiowecker gelungen, mehrere Frequenzen gleichzeitig zu empfangen. Und als würden die unterschiedlichen Sender sogar auf wundersame Weise miteinander kommunizieren. Der eine unterbricht den anderen, dann singen zwei oder drei Stimmen gemeinsam, Störgeräusche werden gesendet, das erste Programm kommt wieder zu Wort. Hörspielsequenzen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, verspulte Rhythmen, angestaubte Jazzchansons. Mehrdimensional, wirr und wahnwitzig.
Nach einem abgebrochenen Opernstudium in Frankfurt, einem Umzug nach Köln und ein paar kommerziellen Musikproduktionen begann Yvonne Cornelius ab Mitte der Neunziger konsequent einen eigenen Weg zu beschreiten. „Es gab einfach niemanden, der verstand, was ich machen wollte. Es sollte Brüche in sich haben. Songs, die improvisiert werden und in Ecken ihren Anfang und ihr Ende finden. Dann habe ich angefangen, selbst am Sequenzer zu arbeiten, um das anderen vorzuspielen. Das hat dann aber nicht so gefallen. Mir aber schon, und so habe ich daran weitergearbeitet.“ 2001 erscheint das erste Ergebnis dieser Arbeit: eine Platte im ungewöhnlichen 10-Inch-Format, die bezeichnenderweise „Radioersatz“ betitelt wurde.
Schon auf dieser ersten Veröffentlichung hat Niobe so gut wie alles selbst gemacht. Sie hat sich in ihren kleinen Studioraum verkrochen und herumgebastelt. Inzwischen hat sie dort ein Archiv mit etwa 10.000 unterschiedlichen Sounds angelegt. Wenn sie sich morgens, noch mit Traumresten im Kopf, an den Rechner setzt, sucht sie von ihren Disketten zunächst die Sounds, mit denen sie beginnen kann. Dann werden Strukturen gebaut, ganz viele Klänge nebeneinander und aufeinander gepuzzelt. „Ich spiele meine acht Spuren voll, und dann lösche ich wieder ganz viel. Es bleibt aber immer etwas übrig, was man dann wiederholen kann.“ Es ist ein langwieriger Akt, in dem Niobe auf Kontingenz und Spurenablagerung setzt. Dennoch handelt es sich um einen Konstruktionsprozess im eigentlichen Sinn. Die Vorgehensweise ist sogar geometrisch, die Visualisierung am Computer hilft, den Überblick zu behalten. „Viele denken ja, meine Musik wäre völlig out of every Rhythmusgefühl. Das stimmt gar nicht, das ist alles genau nach Takten.“ Während des Bauens der Songs kann sich das Vorhaben allerdings ständig ändern. Die Dekonstruktion ist ein wichtiger Teil der Konstruktion.
Auf der neuen Platte „Voodooluba“ (Sonig) sind die Baumaterialien noch heterogener geworden als auf den beiden Vorgängern: Zur markanten Stimme, der akustischen Gitarre und am Keyboard eingespielten Streichersätzen gesellen sich jetzt auch gregorianischer Gesang, fernöstliche Melodien und afrikanische Rhythmen. Miteinander verbunden sind diese Elemente durch kunstvolle Verknotungen. Am erstaunlichsten ist, wie wenig eklektizistisch das Ergebnis klingt. Was wohl daran liegt, dass Niobe diese Materialien selbst produziert, statt sie zu sampeln. Hier kocht die Chefin noch selbst. Die Referenzen sind auch nicht bewusst gewählt. Alles wird so lange durch die eigenen Kanäle geleitet, bis es sich ganz harmonisch in Niobes Miniversum eingliedert. Aus Chinesisch, Gregorianisch und Voodoozaubersprüchen wird eine neue Sprache mit eigenem Vokabular: Niobisch.
Während Niobe schon seit der ersten Platte mit der guten Freundin Janeta Schude als Texterin arbeitet, gibt es auf „Voodooluba“ erstmals auch musikalische Kollaborationen. Zum Beispiel mit Andi Thoma von Mouse On Mars, auf deren Label Sonig Niobe seit der letzten LP „Tse Tse“ veröffentlicht. „Das war ein Traum. Wir gehen von dem gleichen Ding aus, wir haben das gleiche Musikverständnis.“ Der MoM’sche Groove und Niobes musikalische Vollmundigkeit werden mit dem gemeinsam Hang zu Detailverliebtheit und Dekonstruktion gemischt. Ein anderes Zeugnis gelungener Kooperation ist „Send me Shivers“, einer der Hits von Radical Connector, der letzten Mouse-On-Mars-LP. Melodie und Stimme stammen von Niobe.
Auf der eigenen Platte ist Yvonne Cornelius weniger poppig und tanzbar. Auch sie selbst scheint sich mehr und mehr klar darüber zu sein, dass sie mit ihrer Musik kein großes Publikum erreichen wird. Eher sieht sie ihren Auftrag darin, Türen aufzustoßen. „Ich wünsche mir, dass Leute, die wirklich Pop draufhaben, auch mehr solche Sachen zu machen versuchen.“ Sie selbst bleibt eine Diva der Nische. Aber diese Nische, aus der sie die Welt mit Unerhörtem versorgt, muss man sich sehr geräumig vorstellen. Voll mit allerlei Kram, der herumliegt, und frei flutenden Einfällen, die darauf warten, von der Meisterin zerpflückt zu werden. Ungemein viel Außenwelt wird hereingespiegelt, durch die verschiedenen Kanäle mit gordischen Knoten geleitet und dann auf Konzerten und Platten in die Welt zurückgeschickt.
Niobe spielt heute Abend in der Volksbühne, gemeinsam mit Mouse On Mars und Jason Forest. Beginn 21.30 Uhr