: Jeden Tag eine Blume hinrichten
Philosophisch bewiesen: Die Zimmerpflanze ist ein in jeder Hinsicht unnützes Ding
Zur Zimmerpflanze sui generis ist nur zu sagen, dass es sie nicht braucht. Ihr selbst in gewogenen Kreisen wie Frauen und Fernsehen bisweilen zweifelhafter Ruf drückt sich etwa in einem kurzen Zwiegespräch aus, das man während einer Folge der RTL-Serie „Unter uns“ aufschnappen konnte: „Ich weiß nicht, ob Sie Tulpen mögen.“ – „Danke, das wär’ nicht nötig gewesen.“
Im Grunde hat sich die Angelegenheit Zimmerpflanze damit erledigt. Allerdings macht man es sich zu leicht, wenn man an der Zimmerpflanze, an Gestecken aller Art, seien sie auf einem Fensterbrett untergebracht oder auf einen Schrank gestellt, oder an Vasenblumen und ähnlichem Getier kein näheres Interesse zeigt. Die Dimensionen sind viel weiter zu fassen.
„Keine Blumen!“, sagt selbstverständlich auch Erwin, der Frankfurter Friseur, der ein Fest veranstaltet und in dieser speziellen Hinsicht die Bestückung des Festraumes mit Pflanzen der Gattung Zierblume oder Zimmerpflanze strikt ablehnt, ja, sich ein solches Tun vehement verbittet, er wird wissen, warum.
Es ist dem Erwin hier jedenfalls zuzustimmen. Denn die Zimmerpflanze an und für sich ist nicht hoch genug gering zu schätzen. Einerseits, so der Erwin, ist sie in ihrer Seinsweise wohl so etwas wie ein „Staubfänger“, andererseits ist sie ja nun doch in der kürzesten Zeit auch zum allerkümmerlichsten Naturabfall verwelkt und verschrumpelt.
Das bedeutet, dass dieses Memento-mori-Gebaren kontraproduktiv ist und dem Wesen der Zimmerpflanze als angeblicher Verschönerungsleistung im Alltag und Glückwunschzeichen streng zuwiderläuft. Es ist hier somit die konsequenteste Alogizität der Zimmerpflanze angedeutet, für welchen skandalösen Tatbestand wir im Augenblick keine Worte mehr haben. Folgerichtig schreibt immerhin die Bild-Zeitung in ihrer so genannten Out-Liste: „Vertrocknete Pflanzen, die uns ständig ein schlechtes Gewissen machen. Raus mit dem Stroh!“
Es schickt sich indes, bereits früher einige Initiativen gegen die Zimmerpflanze zu akzelerieren, zumal in den Phasen ihrer sonderbaren Aufzucht. Sofern man sich nicht dazu durchzuringen vermag, „ihre Existenz freiweg in Abrede zu stellen“ (Mark Twain), äußerte sich der bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber aus Anlass der Eröffnung der Bayerischen Landesgartenschau 2004 diesbezüglich vorbildlich entschlossen. Er sagte, „dass ich jeden Tag in der Früh in den Garten schau’ und vielleicht eine Blume hinrichte oder, äh, aufrichte“. Das ist gut zu wissen.
Es genügt, wie wir gesehen haben, angesichts der ziemlichen Komplexität des ganzen Kasus keineswegs, sich hinzustellen und, so hat es Herr M. Tetzlaff jüngst getan, zu sagen: „Die Zimmerpflanze ist mir praktisch egal.“ Bei einer derartigen Haltung fängt faktisch der Faschismus an. Angebracht ist gegenüber der Zimmerpflanze daher zunächst jederzeit ein „prinzipielles miesepetriges Verneinungsgewackel“ (Jörg Schröder), denn die Zimmerpflanze ist eine kommunikative Null, auch wenn einzelne Menschenexemplare immer wieder versuchen, mit ihren beschämenden Hausbewohnern zu sprechen. Des Weiteren ist sie an und für sich in ihrer Existenz transzendentalphilosophisch nicht gedeckt, systemtheoretisch höchstens ungenügend zu fassen und summa summae ein holistischer, ja heuristischer Hokuspokus, der durch die septem artes liberales keine Aufwertung erwarten darf.
Abschließend: Die Zimmerpflanze wächst aller Voraussicht nach nicht und kann gar nichts. Sie taugt nichts als Thekenverzierung, da sie lediglich Damen verdeckt und Aschenbecher verdrängt. Sie ist also eine botanische Totalpfeife. JÜRGEN ROTH