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: Populärkultur

Hans-Otto Hügel (Hrsg.): „Handbuch Populäre Kultur“. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart, Weimar 2003, 580 Seiten, 49,95 €

Genau 1.226 Gramm wiegt dieses Buch, gewogen auf der elektronischen Waage im Briefzentrum der taz. Vielleicht liegt es ja daran, dass man hierzulande einen solch gewichtigen Umgang mit diesem Thema nicht recht gewohnt ist. Jedenfalls muss man zunächst unwillkürlich grinsen, wenn man zum ersten Mal zu diesem soliden Ziegelstein greift. Das also kommt raus, wenn sich die deutsche Uni jenseits der Kulturindustrie-Beschimpfung der populären Kultur annimmt! Dabei bietet dieses „Handbuch“, sobald man genauer hinguckt, eine funktionierende Arbeitsgrundlage: informative Übersichtsartikel über die allermeisten Teilbereiche der populären Kultur, weiterführende Literaturhinweise. Zum Nachdenken übers Fernsehgucken ist es ein gutes Hilfsmittel. Zum Fernsehgucken selbst kommt man natürlich weiterhin ohne aus.

Der Herausgeber Hans-Otto Hügel ist, so etwas gibt es, Professor für Populäre Kultur in Hildesheim. Seine Mitarbeiter, Studenten und eine Regie weiterer Autoren hat er ausschwärmen lassen, um Lexikonartikel über „Grundbegriffe“ wie Graffiti, Kino, Publikum oder Videospiel schreiben zu lassen. Georg Seeßlen schreibt zum Beispiel über Sex. Den Konzepten, populäre Kultur zu verstehen, wie Alltagskultur, Kulturindustrie, Soziokultur oder Subkultur sind eingehendere Essays gewidmet. Seinen eigenen Ansatz erläutert Hans-Otto Hügel im Vorwort, das, wenn nicht alles täuscht, das Nachdenken über Populärkultur hierzulande entscheidend voranbringen könnte.

Zwischen Frankfurter Schule einerseits und Cultural Studies andererseits schlägt Hans-Otto Hügel einen eigenen Weg ein: Von den Cultural Sudies übernimmt er die egalitäre Sichtweise, die Kategorie des Ästhetischen will er jedoch in die Erforschung der populären Kultur zurückholen: „Der Reiz des Populären scheint (…) gerade darin zu bestehen, in der Rezeption zwischen den Registern des Sozialen und des Ästhetischen hin und her schalten zu können.“ Letztlich führt ihn das dazu, nicht mehr die Hoch- gegen die populäre Kultur ausspielen zu wollen (oder umgekehrt), sondern die produktive Kraft dieser Gegenüberstellung ins Auge zu nehmen: Der „Reichtum unserer Kultur“ besteht für Hans-Otto Hügel gerade darin, „durch das Mit-, Gegen- und Nebeneinander von Hoch- und populärer Kultur vielfältig zu sein“.

Um eine der vielen Konsequenzen dieses Ansatzes am derzeitigen Lieblingsobjekt von bildungsbeflissenem Hass, Ekel und Verachtung zu illustrieren: Wer dabei stehen bleibt, Dieter Bohlen schlichtes Banausentum zu attestieren, wird selbst zum Banausen. Er übersieht unter anderem, wie komplex Bohlens Wunsch, als Buchautor zu gelten, in das Feld zwischen Hoch- und Populärkultur eingebunden ist.