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Faszination Gips: Der gar nicht altbackene Werkstoff setzt einen neuen Trend

Die Gipsindustrie hat eine große Werbeaktion gestartet: „Gips im Dialog“

Eine leicht geschürzte Hausfrau räkelt sich auf der beigen Sitzlandschaft, und ein junger Handwerker steht im Malerkittel auf der Leiter. „Gips mir! Oh, gips mir!“, flötet sie lasziv, während der Maler ratlos seinen Spachtel betrachtet. Dies ist keine Szene aus einem „Hausfrauenreport“- Softporno der Siebzigerjahre, sondern ein aktuelles Anzeigenmotiv der Deutschen Gipswirtschaft.

Ziel der Kampagne ist es, den etwas ins Abseits geratenen Werkstoff Gips aus seinem Mauerblümchendasein zu reißen und ihm ein frisches, jugendliches Image zu verpassen. Otto Friedrich, Chef der vom Verband der deutschen Gipsindustrie initiierten Aktion „Gips im Dialog“, nimmt dazu klar Stellung: „Wir müssen wegkommen vom verschnarchten Bild, das der heutige Jugendliche von Gips hat. Gips ist mehr als ein bröseliger Werkstoff für Gipsverband, Stukkateurarbeiten und Gipsabgüsse. Wir müssen der Jugend sagen: Gips ist ein Material fürs Leben. Gips ist hip, Gips ist cool!“

Deutliche Worte, all denen ins Stammbuch geschrieben, die nur in immer neuen Materialien wie transparentem Plastik oder neonfarbenem Linoleum den Ausdruck des Zeitgeistes erkennen wollen. Dabei ist Gips viel mehr als der Marmor des kleinen Mannes. Er ist seit Jahrtausenden Begleiter und Gestalter, nicht umsonst spricht Friedrich auch vom „Lebensraum Gips“, den es immer wieder neu zu definieren gelte.

„Warum sollen Wohnungen eigentlich immer nur mit PVC-Böden oder Parkett ausgelegt werden? Ein strahlend weißer Gips-Estrich hat doch eine ganz andere Klasse. Sicherlich – er ist nicht ganz pflegeleicht, aber ultra-stylish!“ Trendforscher Mathias Horx sagt dies, und er muss es wissen. Sein Hamburger Trendbüro hat auch die Zielgruppe der potenziellen Gips-Jünger ausgemacht. Die Anhänger der Club-Culture, Szenegänger zwischen 18 und 24. Neue, coole Produkte sollen die „Faszination Gips“ bei der konsumorientierten und kaufkräftigen Klientel verankern. Zum Beispiel der „i-gips“, ein an Apples i-pod angelehnter Musicplayer, dessen Miniaturgehäuse aus hochfestem Gips besteht und über eine angenehm raue Oberfläche verfügt. Auch eine modular aufgebaute Möbelkollektion aus Gipselementen ist bei den Produzenten im Gespräch. Einzig die mangelhafte Abriebfestigkeit des Materials bereitet den Herstellern noch Sorgen.

Das sicherlich kühnste Projekt der deutschen Gipsindustrie entsteht zur Zeit aber im Harz: Ein komplett aus Gips gefertigtes riesiges Windrad soll die Leistungsfähigkeit des Werkstoffes weithin sichtbar unter Beweis stellen. Scheitert dieses bislang ehrgeizigste Vorhaben, wäre dies ein herber Rückschlag im Bemühen, Gips von seinem Low-tech-Image zu befreien. Projektleiter Sven Rädtke ist sich aber sicher, dass der „Gipsflügler“ eine Erfolgsgeschichte schreiben wird. „Überall dort, wo riesige Kräfte auftreten, und dies ist bei Windrädern zweifellos der Fall, geht es nicht ohne Gips!“

Eine klare Aussage, die die Kritiker des Projekts aber nicht restlos zum Verstummen bringt. Sie befürchten nämlich, die Rotorblätter könnten bei Orkanstärke bröseln und eine Unmenge an Gipspartikeln in die Gegend schleudern. Einwände dieser Art lässt Rädtke allerdings nicht gelten. „Zu diesen Bedenkenträgern sage ich nur: Und wenn schon! Gips ist ein naturnaher Werkstoff. Selbst bei einer, völlig unwahrscheinlichen, Totalauflösung unseres Gips-Windrades haben wir keine Umweltkatastrophe. Wir haben dann nur – einen Haufen Gips.“

Wer wollte dem Gips-Kenner Rädtke da widersprechen? Und er sagt dies mit der Überzeugungskraft eines charismatischen Wanderpredigers. Kein Wunder, dass immer mehr Meinungsmacher in diesem Lande vom Gips-Hype erfasst werden. Wie auf der Frankfurter Buchmesse zu hören war, arbeitet Trendautor Florian Illies auch schon an seinem neuen Buch. Und wenn alles nach Plan verläuft, dann steht noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft sein nächster Bestseller in den Regalen der Buchhandlungen. Titel: „Generation Gips“. RÜDIGER KIND