„Rot-Grün ist bei manchen Ökothemen beratungsresistent“, sagt Angelika Zahrnt

Die Bundesregierung will nachhaltige Politik machen – die faktische Bilanz fällt indes ziemlich vermischt aus

taz: Frau Zahrnt, Leipzig wird ein internationales Luftdrehkreuz im Frachtverkehr. Der Bundeskanzler und der Verkehrsminister jubeln – trotz Nachtfluglärms und jeder Menge Klimagas. Und Sie?

Angelika Zahrnt: Ich nicht. Ich sehe nicht nur die versprochenen Arbeitsplätze, sondern die Belastung, die auf die Region zukommt. In Brüssel will man das Drehkreuz nicht mehr, weil es eine zu hohe Belastung für die Anwohner und die Umwelt ist. Wir sind für ein Nachtflugverbot.

Flug- und Güterverkehr auf der Straße nehmen zu – obwohl die Bundesregierung in dem „Fortschrittsbericht“ doch behauptet, weniger Lkws und mehr Güter auf der Schiene anzuvisieren. Also schöne Worte – nichts dahinter?

Der Fortschrittsbericht erweckt den Eindruck, als seien wir auf dem richtigen Weg. Wenn Sie sich die Zahlen im Detail ansehen und den Haushaltsplan der Regierung, dann stimmt das nicht überall. Im Verkehrsbereich geht es in die falsche Richtung. Im Bundesverkehrswegeplan wird überdimensional in den Straßenbau investiert und nicht in den Schienenausbau. Im Ökolandbau geht es in die richtige Richtung, allerdings viel zu langsam. Wir sind jetzt bei 4,3 Prozent der Fläche Ökolandbau, die Regierung will 20 Prozent schaffen bis 2010.

Aber was kann die Bundesregierung dafür, dass die Leute nicht genug Öko kaufen?

Sie kann das Biosiegel noch anders bewerben. Bisher hat sie nur gesagt, dass es das Biosiegel gibt, aber keine Kommunikationsstrategie, warum Ökolandbau besser ist. Der zweite Kritikpunkt: Die Regierung will bei der herkömmlichen Landwirtschaft die Pestizide reduzieren – aber Vorgaben, wann was reduziert sein muss, fehlen.

Die Bundesregierung ist also nicht ganz ehrlich in ihrem Fortschrittsbericht. Würde denn das ehrliche Eingeständnis, Ziele verfehlt zu haben, der Umwelt nutzen?

Ja, viel. Wir werfen der Bundesregierung vor, dass sie in ihrem Fortschrittsbericht das frühere Klimaziel aus der Ära Kohl von minus 25 Prozent Treibhausgase bis 2005 stillschweigend fallen lässt, weil sie es nicht erreicht. Wenn die Regierung ehrlich wäre, könnte sie fragen, warum das nicht geklappt hat, was sie tun könnte, um schneller voranzukommen. Das ist der Knackpunkt. Wenn man so tut, als sei man auf dem besten Wege, fehlt die realistische Basis für Politik.

Die Regierung soll ihre Ohnmacht öffentlich eingestehen?

Die Politiker müssen die Grenzen staatlicher Politik thematisieren. Wenn sie sagen, es liegt am Verbraucher, dass der Ökolandbau zu wenig vorankommt, dann müssen sie den Leuten deutlich machen: Wenn ihr Ökolandbau wollt, müsst ihr anders einkaufen.

Der „Rat für nachhaltige Entwicklung“ soll die Regierung beraten. Lässt sie sich denn beraten?

Unterschiedlich. Sie lässt sich z. B. beim Flächenverbrauch beraten – allerdings fehlen hier konkrete Maßnahmen. In anderen Bereichen ist sie beratungsresistent.

Wo?

Beim Klimaschutz wollten wir ein klareres Reduktionsziel, das nicht von einer Zielverpflichtung der EU abhängig gemacht wird.

Was finden Sie gut am Fortschrittsbericht? Hat die Regierung Fortschritte gemacht?

Der Bericht liest sich wie eine Halbzeitbilanz. Aber es fehlen Angaben, die die langfristigen Ziele erreichbar machen. Der Bericht ist zu allgemein, zu vage. Die langfristigen Ziele schlagen kaum in der Alltagsarbeit durch.

Der BUND, an dessen Spitze Sie stehen, lässt sich durch den Nachhaltigkeitsrat in Regierungspolitik einbinden. Wo ist für Sie die Grenze für die Kuschelpolitik?

Ich lasse mich nicht in Regierungspolitik einbinden. Wenn ich einen Rat gebe, ist das keine Einbindung. Das ist auch kein Kuschelkurs. Der Rat berät ja nicht nur die Regierung – er macht die Nachhaltigkeit ja auch publik. Der Rat hat zum Beispiel sechs Veranstaltungen zum Thema Flächenverbrauch initiiert. Das hat die Diskussion in Schwung gebracht.

Gibt es eine Grenze, bei der Sie den Rat verlassen würden?

Ich sehe bisher keine Sollbruchstelle. Es gibt zudem die Möglichkeit des Minderheitenvotums. Das war aber bisher noch nicht der Fall.

Als nachhaltig gilt heutzutage ja ziemlich viel – von Braunkohlekraftwerken bis zu Windkraft. Wünschen Sie sich ein Copyright auf den Begriff Nachhaltigkeit?

Ja. Das wünsche ich mir manchmal. Es gibt die verschiedenen Definitionen von den drei Säulen oder einem Dreieck aus wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Die Umwelt muss Vorrang haben. Das Klima geht vor. Was nutzt Wirtschaftswachstum, wenn wir mehr Klimakatastrophen haben? Ich wünschte mir, dass Nachhaltigkeit so definiert wird, dass es ökologische Grenzen zu beachten gilt. Innerhalb dieser Grenzen sollen sich Wirtschaft und Gesellschaft optimal entwickeln. INTERVIEW: BEATE STRENGE