: Kampf der Unkulturen
Holland ist überall: Der Mord an Theo van Gogh wird als eine Art Kulturkampf begriffen. Doch die Fronten des Konflikts verlaufen nicht zwischen „dem Islam“ und „dem Westen“
Der Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh hat nicht nur die Niederlande aufgeschreckt. Weit über die holländischen Grenzen hinaus wurde die Tat als Fanal gewertet. Dass ein westlicher Islamgegner in einer europäischen Metropole auf offener Straße ermordet wurde, spricht für eine neue Qualität der Bedrohung durch islamistische Gewalt.
Der Täter war offensichtlich islamistisch aufgehetzt: Dafür spricht nicht nur die Symbolik der Tat, die ihn als einen verirrten Adepten irakischer Halsabschneider ausweist, oder das Bekennerschreiben, das, an der Mordwaffe am Tatort hinterlassen, in seiner bizarren Mischung aus Größenwahn und Gemeingefährlichkeit an die Botschaften anderer Bin-Laden-Schüler erinnert. Sondern auch die Erkenntnisse der Polizei, die von Kontakten des Täters zur radikalen Islamistenszene in den Niederlanden berichtet. Das alles macht die Tat des Mohammed B. zu einer Form von politischem Mord, wie man ihn in Europa nicht (mehr) zu kennen glaubte.
In vielen muslimisch geprägten Ländern leider schon: Die berüchtigte Fatwa des Ajatollah Chomeini, mit der dieser den Schriftsteller Salman Rushdie 1989 zum Abschuss freigab, hat dieser fast wie durch ein Wunder überlebt. Dafür sind zahlreiche religionskritische Intellektuelle in der muslimischen Welt von fanatisierten Häschern ermordet worden. Im Zuge der Rushdie-Affäre wurden in den frühen Neunzigerjahren in der Türkei mehrere prominente Islamkritiker ermordet. In Ägypten erlag 1992 der säkulare Schriftsteller Farag Foda einem Anschlag, sein prominenter Kollege Nagib Mahfus entging zwei Jahre später nur knapp einem Messerattentat. Ganz zu schweigen von den vielen Journalisten und Intellektuellen, die dem Bürgerkrieg in Algerien zum Opfer gefallen sind.
Diese Welle der Gewalt kann man als Teil eines brutalen Kulturkampfs sehen, der in vielen muslimisch geprägten Ländern tobt; als Zeichen des islamistischen Drangs nach zumindest kultureller Hegemonie.
Der Fall Theo van Gogh ist allerdings etwas anders gelagert und komplizierter. Hier hat ein religiöser Fundamentalist einen libertären Provokateur ermordet, der sich für rassistische Ausfälle nicht zu schade war. Theo van Gogh hat in seinen Kolumnen ein westliches Überlegenheitsgefühl ventiliert, das sich tabubrecherisch und aufklärerisch gerierte. Es ist kein Zufall, dass er nun selbst von holländischen Neonazis vereinnahmt wird, die in seinem Namen Moscheen anzünden.
Dieser Diskurs ist von zwei klaren Polen geprägt: hier der moderne, aufgeklärte „Westen“, dort der rückständige, frauenfeindliche „Islam“. Diese Einordnung unterstellt den muslimischen Einwanderern pauschal, nur sie hätten ein Problem mit der Moderne. Als ob es im niederländischen Parlament nicht eine christliche Partei gäbe, in der Frauen qua Satzung keine öffentlichen Ämter übernehmen dürfen. Als ob lediglich Marokkaner arrangierte Ehen mit Frauen aus ihrer alten Heimat eingehen würden und nicht auch weiße Niederländer per Katalog nach Ehefrauen aus Südostasien suchen. Als ob Homophobie und häusliche Gewalt allein unter Muslimen verbreitet wären und jugendliche Delinquenz auf den Koran zurückgehe.
Tatsächlich gibt es allerhand Koranpassagen, die sich frauenfeindlich lesen. Es gibt aber auch viele muslimische Autoritäten, und zwar selbst in europäischen Hinterhofmoscheen, die solche Passagen anders auslegen und Gleichberechtigung predigen. Sicher müssen sich Muslime, die in westlichen Gesellschaften leben, an deren säkulares Rechts- und Gesellschaftssystem anpassen. Aber die allermeisten tun das längst.
Weil muslimischen Migranten in den Niederlanden jedoch ständig das Gegenteil unterstellt wird, klingt die Rede von der angeblichen „holländischen Toleranz“ etwas hohl. Spätestens seit Pim Fortuyn dürfte die „gefühlte Toleranz“ der Niederländer weit größer sein als die reale, die muslimische Migranten im Alltag zu spüren bekommen.
Manche mögen Theo van Goghs derbes Schulhofvokabular als erfrischenden Bruch mit einer politisch korrekten Sprache empfunden haben, die seit Jahren fein säuberlich zwischen autochthonen (eingeborenen) und allochthonen (zugewanderten) Niederländern unterschied. Doch solche Sprachregelungen übertünchten nur notdürftig jene Vorurteile, die in Krisenzeiten offen zutage treten: Nun sprechen selbst linksliberale Holländer von ihren zugewanderten Nachbarn als Gäste, die sich gefälligst anzupassen hätten, sonst müssten sie raus.
Theo van Gogh hat Marokkaner gern als „Ziegenficker“ tituliert. Das macht den grausamen Mord an ihm nicht weniger abscheulich. Aber es nimmt dem Toten den Nimbus, ein Held der Meinungsfreiheit gewesen zu sein – auch wenn diese Feststellung manchen bereits pietätlos erscheinen mag.
Sein zehnminütiger Film „Submission“, der im Sommer im holländischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, zeigte nackte Frauenkörper unter transparenten Tschadorgewändern, auf die arabische Koranverse projiziert wurden; dazu wurden Beispiele von Gewalt gegen Frauen erzählt. Man stelle sich vor, Theo van Gogh hätte Bilder vom Palästinakonflikt mit Zitaten aus dem Alten Testament untermalt – eine Antisemitismusklage wäre ihm sicher gewesen.
Theo van Gogh könnte noch am Leben sein, wäre sein Mörder gegen ihn vor Gericht gezogen, statt sich in Lynchjustiz zu üben. Natürlich müssen sich auch Muslime in westlichen Gesellschaften gefallen lassen können, dass ihre Religion beleidigt oder verspottet wird. Doch die Erfahrung lehrt, wie schnell hate speech in Gewalt münden kann. Gerade nach dem Anschlag auf Theo van Gogh, nach brennenden Moscheen und Kirchen tut verbale Abrüstung deshalb Not. Denn radikale Gruppen lassen sich nur dann isolieren, wenn die Mehrheit zu einem Konsens findet. Natürlich haben westliche Gesellschaften ein Recht darauf zu erfahren, wie viele gewaltbereite Islamisten unter ihnen weilen. Aber das weiß die Mehrheit der gewöhnlichen Muslime auch nicht. Attentäter wie Mohammed B. zimmern sich ihre Do-it-yourself-Ideologie aus selektiv gelesenen Koranversen und radikalen Pamphleten zusammen und vernetzen sich über das Internet. Sie aufzuspüren und unschädlich zu machen ist letztlich eine Aufgabe für Polizei und Geheimdienste.
Auch sie werden nicht jeden einzelnen Amokläufer stoppen können. Deswegen kann so ein Anschlag leider immer und überall passieren. Ob Deutschland für eine solche Belastungsprobe gewappnet wäre? Schwer zu sagen. Wer liest, mit welcher Leichtigkeit deutsche Feuilletonisten bei solch einem Ereignis zu Samuel Huntingtons Floskel vom „Zusammenprall der Kulturen“ greifen oder das Scheitern der multikulturelle Gesellschaft verkünden, dem kann schon etwas mulmig werden. Seltsamerweise hat niemand vom Zusammenprall der Kulturen gesprochen, als in Mölln und Solingen die ersten Türken verbrannt wurden. Der gemeinsame Boden ist offenbar dünn. DANIEL BAX