: Hildesheimer Flucht
Kulturjournalismus-Studenten edieren Literaturzeitschrift und Anthologie – und gründen bald ihren Verlag
Ob Schreiben nun erlernbar ist und SchriftstellerIn ein ordentlicher Beruf, darüber wird seit ehedem gestritten. Andererseits muss nicht jeder Ort, an dem man Schreiben lernt bzw. trainiert, zwangsläufig gestandene AutorInnen hervorbringen. Studierende des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim verfolgen jedenfalls ihre eigene Strategie: Thomas Klupp, Wiebke Späth, Florian Kessler, Lin Franke und Matthias Karow geben die Literaturzeitschrift BELLA triste heraus.
Diese „Zeitschrift für junge Literatur“, die dreimal jährlich erscheint, ediert in diesen Tagen ihr zehntes Heft; die AutorInnen: Annette Mingels, Henning Ahrens, René Hamann, das Autorenkollektiv K.L. McCoy sowie noch unveröffentlichte AutorInnen wie Annette Schwarz, Nico Bleutge und Nora Bossong. Auffällig ist, dass mit Julia Therre nur eine Hildesheimerin vertreten ist. Denn die Blattmacher wollen keine Nabelschau betreiben, sondern Talente entdecken.
Potentielle Bella-AutorInnen dürfen zwar schon ein Buch veröffentlicht haben, sollten aber nicht zu bekannt sein. Zwar werden, nachdem die Zeitschrift jetzt schon vier Jahre besteht, immer noch reichlich Manuskripte eingeschickt. Ausgewählt wird davon allerdings höchstens eins pro Heft: Lieber suchen die HerausgeberInnen selbst und live nach jungen, unbekannten literarischen Stimmen.
In der Tat zeichnen sich zwei Trends ab, wenn man die zehn Ausgaben genauer betrachtet: Da gibt es einmal die Introvertierten, die von Beziehungen und Selbstsuche erzählen. Dann gibt es noch die „komplizierten Geschichten“ von Thomas Klupp und Florian Kessler, gespickt mit stilistischen Experimenten, Anekdoten und Lyrik.
Dass BELLA triste schon seit einiger Zeit auch überregional wahrgenommen wird, hängt damit zusammen, dass man gleich zu Beginn Texte von Ulla Lenze und Tilman Rammstadt veröffentlicht hat, die sich kurz darauf im Literaturbetrieb etablierten. Außerdem gibt es seit einigen Ausgaben die Interview-Reihe „phon“ und die Essay-Reihe „lux“. Hier haben bereits Juli Zeh und Feridun Zaimoglu veröffentlicht.
Der studentische Jahrgang 2003 wiederum hatte für ein Sonderprojekt Hildesheim als Ort literarischer Inspiration gewählt, Texte geschrieben und unter dem Namen „stattflucht“ als Anthologie herausgegeben. Das Resultat: ein bis auf wenige Ausnahmen eher düsteres Bild von Hildesheim. Der Ort ist zudem austauschbar; die HeldInnen könnten genauso gut in Kiel oder Castrop-Rauxel wohnen. Der 2003er Jahrgang hat aber Blut geleckt und jetzt einen eigenen Verlag gegründet, um weitere Buchprojekte zu realisieren.
Kerstin Fritzsche