: Wütende Amerikas
Seit George W. Bushs Wahlsieg stehen sich der liberale und der paranoide Teil der US-Bevölkerung unversöhnlicher denn je gegenüber. Grüße von der Heimatfront (10)
Die Phase des ersten Schocks ist vorbei. Meine New Yorker Freunde haben die „Option Emigration“ erwogen – und verworfen. Die Staatsbürgerschaft der Virgin Islands kostet über 100.000 US-Dollar, und „woanders will uns eh keiner“.
Auch der Plan, alle „blauen“ Bundesstaaten der USA an Kanada anzugliedern und gemeinsam unter der Fahne der USLL (United States of Liberal Losers) gegen die Bushland-Konföderation zu marschieren, ist hinfällig. Erstens ist Kanada auch nicht mehr so liberal; zweitens hat sich der Trauerschleier vor den Augen so weit gelichtet, dass wieder ein klarer Blick auf die Landkarte möglich ist:
Es gibt kein „rotes“, es gibt auch kein „blaues“ Amerika. Mischt man die Kerry- und Bush-Wähler in jedem der 50 Einzelstaaten, so entstehen – frei nach Jimi Hendrix – die „United States of Purple Haze“. Soll heißen: Die politischen Risse und Gräben ziehen sich durch alle Bundesstaaten. John Kerry hatte in vielen eine reale Chance auf Sieg – und obwohl auf linken Websites wieder böse Tricks vermutet werden, hat er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht aufgrund eines Wahlbetrugs verloren.
Das sind die guten Nachrichten. Nun zu den schlechten.
John Kerry hat die US-Präsidentenwahl verloren, weil seine Demokratische Partei erschreckend schlecht und die Republikaner erschreckend gut organisiert waren. Kerry hat verloren, weil seine Wahlbasis sich im antihierarchischen Chaos zwischen Laptops, Pizzaschachteln und Bruce-Springsteen-Postern aufgerieben hat. Wir kennen dieses Chaos und es ist uns allen sehr sympathisch. Bloß kann man damit keinen Gegner schlagen, der in den letzten vier Jahren mal eben die Kunst des Wahlkampfs revolutioniert hat:
Karl Rove – des Präsidenten wichtigster Berater und deswegen auch unter dem Spitznamen „Bush’s Brain“ bekannt – hat die spendable, aber traditionell faule Parteibasis mit der sozialen Protestbewegung der christlichen Rechten fusioniert; er hat daraus hunderttausende von Aktivisten rekrutiert, die mit der Effizienz eines Wirtschaftskonzerns und der begeisterten Loyalität einer Pfadfindertruppe die „Botschaft“ unters Wahlvolk getragen haben. Die lautete 2004: Krieg dem Feind von außen, den Terroristen in aller Welt! Krieg dem Feind von innen, allen voran der „Homosexuellen-“ und der „Abtreibungslobby“!
Die – im US-amerikanischen Sinne – rechtsradikale Substanz dieser Botschaft wurde im Rennen um die Präsidentschaft noch relativ moderat verpackt. Im Kampf um Kongress-Sitze legten die Republikaner die Samthandschuhe ab. Das Ergebnis sind ein stramm rechtes Repräsentantenhaus und 55 Republikaner im zukünftigen Senat. Einige Neulinge seien hier zwecks Einstimmung auf die nächsten vier Jahre vorgestellt:
Tom Coburn aus Oklahoma, der die Todesstrafe für Abtreibung fordert, wobei deren Kriminalisierung für ihn reine Formsache ist;
Jim DeMint aus South Carolina, der Abtreibung zwar nur mit Freiheitsentzug bestrafen, dafür aber Homosexuelle und unverheiratete Mütter aus dem Schuldienst entfernen möchte;
John Thume, neuer Senator aus dem Bundesstaat South Dakota, der verkünden ließ, jede Stimme für seinen Gegner sei „eine Stimme für Sodomie“;
oder David Vitter, frisch gebackener Senator aus Louisiana, der in seinem Wahlkampfspot den Einmarsch nordkoreanischer und kubanischer Blauhelme (!) in die USA prophezeite, sollte Amerika nicht auf seinem „Recht“ zu unilateralen Präventivschlägen bestehen.
Man könnte dieses Schaulaufen der Kreuzzügler schon fast komisch finden, wüsste man nicht, dass diese Männer wegen, nicht trotz solcher Slogans gewählt worden sind.
Damit kommen wir zur wirklich schlechten Nachricht: Einem wütenden liberalen Amerika steht ein ebenso wütendes paranoides Amerika gegenüber. Beide stehen unter dem anhaltenden Schock des 11. September 2001. Das liberale Amerika sieht sich seither erst recht als Teil dieser Welt, als Supermacht im Weltverbund; das paranoide Amerika leitet aus der Demütigung der Terroranschläge das Recht ab, im Kampf gegen das „Böse“ sämtliche Regeln neu zu schreiben – bei gleichzeitigem Anspruch auf moralische Unfehlbarkeit.
Das zweite Amerika hat diese Wahlen gewonnen – allerdings nicht, wie viele meinen, aufgrund seines messianischen Fundamentalismus. Der ist zweifellos gefährlich, weil die christliche Rechte nach dreißig Jahren in einem beispiellosen Marsch durch die Institutionen ganz oben angekommen ist. Aber er ist nicht mehrheitsfähig.
Nein, George W. Bush hat gewonnen, weil seine Pose adoleszenter Militanz in einem sehr verunsicherten Land als Sinnbild kriegerischer Standfestigkeit ausgelegt wurde. „In Iraq I saw a threat!“, lautete sein Mantra auf allen Wahlkampfauftritten – und jeder verstand, was Bush gar nicht mehr aussprechen musste: „Was ich sehe, ist real. Sollte ich mich geirrt haben, war der Krieg trotzdem richtig. Denn Amerika ist unfehlbar. Alles andere wäre ein Zeichen der Schwäche. Amerika zeigt keine Schwäche.“
Damit traf Bush eine Stimmung im Land, die weder mit „Patriotismus“, „Imperialismus“ oder „Fundamentalismus“ richtig beschrieben ist. „Vengeful nationalism“ nennt sie der britische Journalist und Historiker Anatol Lieven. „Rachsüchtiger Nationalismus“ – gespeist aus den Ängsten einer Supermacht, in der sich immer mehr Menschen als Verlierer fühlen und sich zudem seit dem 11. September 2001 einer realen Bedrohung ausgesetzt wissen.
Was machen die Republikaner nun mit so viel Macht? Sie werden sie vor allem innenpolitisch zu einem Sturmlauf bis zu den nächsten Kongresswahlen 2006 nutzen wollen. Das Steuersystem soll rasiert, die Rentenversicherung teilprivatisiert, die letzten Pfeiler der „New Deal“-Gesellschaft sollen eingerissen werden. Der Oberste Gerichtshof soll endlich eine Mehrheit bekommen, die das Recht der Frau auf Schwangerschaftsabbruch und lästige Bundesgesetze in Sachen Umwelt- und Arbeitsschutz kippt.
Und wieder blicken die Republikaner auf Ohio – dieses Mal auf das Städtchen Canton, wo William McKinley begraben ist, republikanischer Präsident von 1896 bis 1901 – in einer Ära, da es noch keine Bundeseinkommensteuer gab, sich Monopole ungehindert ausdehnen konnten und Armenfürsorge allein Sache von Kirche und privater Karitas war. In diesen Zustand einer „ursprünglichen Freiheit“ soll das Land zurückkehren – Rekorddefizit und andauernder Kriegszustand sind in diesem Weltbild nur Nebenwidersprüche.
Womit man wieder bei den (potenziell) guten Nachrichten wäre. Die kommen dieses Mal nicht aus dem blauen und vom Blues geplagten New York, sondern aus dem republikanisch roten Texas. Genau gesagt: aus der Feder von Molly Ivins, die mindestens so breitbeinig laufen und derb daherreden kann wie ihr Intimfeind, Präsident George W. Bush.
Wenn in Texas ein Hund das Wildern im Hühnerhof nicht lassen kann, schrieb Ivins kurz nach den Wahlen, bindet man ihm ein totes Huhn um den Hals, bis „er so stinkt, dass er sich selbst nicht mehr leiden kann und das Wildern lässt. Uns Amerikanern hängt jetzt für weitere vier Jahre die Bush-Regierung um den Hals – lange genug, um bei jedem Übelkeit auszulösen.“ Das sollte das Land endlich von der schlechten Angewohnheit befreien, „Republikaner zu wählen. Und wenn die Demokraten dann irgendwann hinter Bush aufräumen müssen, dann ist wenigstens klar, wer den Misthaufen zu verantworten hat.“
Wie weit sich in den nächsten vier Jahren die Übelkeit ausbreiten wird, bleibt abzuwarten. Der Misthaufen wird jedenfalls nicht so einfach wegzuräumen sein. Unter George W. Bush haben die rechten „Revolutionäre“ weit mehr angehäuft als ihre Vorgänger der Reagan- und Gingrich-Ära. Aber in Texas muss man als Liberaler in diesen Zeiten zwanghaft optimistisch sein. Andernfalls bliebe wirklich nur der Weg nach Kanada oder auf die Virgin Islands. Deswegen feiern sie dort unten jetzt einen Mann namens Chet Edwards, einen der wenigen Demokraten, die einen Sitz im US-Repräsentantenhaus errungen haben. Im Wahlkreis von Edwards liegen Crawford und die Ranch von George W. Bush.
Mit schönen Grüßen von der Heimatfront ANDREA BÖHM