: Doch noch 388 Kita-Stellen
Nachdem Experten Neueinstellung für zulässig erklären, blockiert Finanzsenator nicht länger. Enquetekommission soll eingesetzt werden, aber erst in zwei Wochen
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ist von seiner drastischen Sparauslegung des Verfassungsgerichtsurteils abgerückt: Er blockiert nicht länger per Tarifvertrag vereinbarte 388 neue Erzieherstellen in den Berliner Kitas. Die Stellen könnten unverzüglich besetzt werden, sagte sein Staatssekretär Hubert Schulte gestern im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses. Der wissenschaftliche Dienst des Parlaments hatte zuvor in einem Gutachten festgestellt, dass eine Neueinstellung zulässig ist. Sarrazin hatte das Urteil anders ausgelegt. Die Richter hatten auf Klage der Opposition den Haushalt 2003/2003 wegen zu hoher Kredite für nichtig erklärt.
Die Grünen-Fraktion wertete das Gutachten als Schlappe für Sarrazin. Es habe die vom Senat „gebetsmühlenartig wiederholte Parole Lügen gestraft“, wonach Neueinstellungen nicht möglich seien, sagte ihre Kita-Expertin Elfi Jantzen. Belustigt zeigten sich die Grünen über gestrige Forderungen von SPD und PDS, die Erzieher sofort einzustellen: Beide Fraktionen hätten sich vor Wochen dagegen gewehrt, dass der wissenschaftliche Dienst in sein Gutachten die Frage der 388 Stellen einbeziehen sollte.
Staatssekretär Schulte nannte das Gutachten „nachvollziehbar und schlüssig begründet“. Abgesehen von den Kita-Stellen deckt sich das Papier für ihn mit der Spar-Auslegung des Urteils. Im Resümee des Gutachtens heißt es, dass „in jedem Einzelfall anhand der konkreten Umstände“ geprüft werden müsse, ob eine Ausgabe zulässig ist.
Die Opposition konnte einen weiteren Teilerfolg erzielen, weil Regierungsfraktionen bezüglich der Enquetekommission einlenkten, die Leitlinien künftiger Finanzpolitik erarbeiten sollen. Man werde der Kommission zustimmen, hieß es von SPD und PDS. Beide Fraktionen hatten so ein Gremium lange abgelehnt: zu teuer, zu schwerfällig, keine schnellen Ergebnisse bringend.
In einem ersten Spitzentreffen von Koalition und Opposition hatte SPD-Fraktionschef Michael Müller zugesagt, in seiner Fraktion für die Kommission zu werben. SPD wie PDS gaben jedoch zu verstehen, dass sie sich keine wirklich weiterführenden Erkenntnisse von dem Gremium versprechen. Die Opposition hätte die Kommission auch allein durchsetzen können, hielt das aber für weniger sinnvoll.
SPD und PDS mochten das Gremium aber nicht schon in der heutigen Plenarsitzung beschließen. Stattdessen wollen sie Montag koalitionsintern über den Arbeitsauftrag der Kommission sprechen. „Das hätten die doch auch schon in ihren Fraktionssitzungen am Dienstag tun können“, kritisierte Grünen-Haushälter Jochen Esser.
Nicht durchsetzen konnte sich die Opposition bei der Dauer des künftigen Haushalts. SPD und PDS teilten die Position des Senats, die kommenden beiden Jahre an einem Doppelhaushalt festzuhalten. CDU, FDP und Grüne hatten gefordert, nur einen Etat für der 2004 aufzustellen, was der Regelfall ist.
PDS-Finanzexperte Carl Wechselberg mochte in einem Einzelhaushalt keinen Vorteil erkennen. In jedem Fall müsse das Urteil des Verfassungsgerichts berücksichtigt werden. Die Opposition argumentierte, bei einem Doppelhaushalt könnten Ergebnisse der Enquetekommission nicht in den Etat 2005 einfließen. Nach ihren Vorstellungen soll das Gremium bis zum Herbst erste Ergebnisse vorlegen, rechtzeitig zu den Beratungen für einen nächsten Haushalt.
Wechselberg hielt eine solche Hoffnung für überzogen: „Völlig abwegig“ sei die Annahme, die Ergebnisse könnten Grundlage konkreter Haushaltspolitik sein. Zugleich warf er der Opposition eine Verweigerungshaltung vor: „Sie tragen keinen einzigen Sanierungsschritt mit.“
Alle Oppositionsfraktionen machten mehr oder minder deutlich, dass sie auch gegen den beabsichtigten Doppelhaushalt klagen könnten und der Senat nochmals eine gerichtliche Schlappe erleiden könnte. Am drastischsten drückte es der CDU-Abgeordnete Matthias Wambach aus: „Den Haushalt 2004/2005 können Sie knicken. Wenn Sie so weitermachen, erleben Sie Ihr zweites Waterloo.“