: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“
Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) lehnt die Abschaffung der bisherigen günstigen Nahverkehrstarife für sozial Schwache ab. Im 10-Uhr-Ticket sieht sie keine Alternative – und fordert jetzt eine gemeinsame Diskussion im Senat
taz: Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) und der Verkehrsverbund haben sich darauf geeinigt, ab April 2004 das Sozialhilfe-Ticket, das Arbeitslosenhilfe-Ticket und die Seniorenkarte abzuschaffen. Was halten Sie als Sozialsenatorin davon?
Heidi Knake-Werner: Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Es ist doch ein Problem, finanziell Schwachen die Teilhabe am öffentlichen Leben zu erschweren. Wir haben zum Beispiel in Berlin fast 50.000 Grundsicherungsrentner, denen wir die Rente auf Sozialhilfeniveau aufstocken. Gerade Seniorinnen und Senioren mit geringem Einkommen brauchen doch den öffentlichen Nahverkehr, auch weil sie ehrenamtlich aktiv sind. Die BVG hat mir übrigens noch vor zwei Wochen zugesichert, dass die bisherige Seniorenkarte noch bis Ende 2004 gelten soll.
Als Alternative wird den Betroffenen empfohlen, das Schwachlast-Ticket zu benutzen, das 49,50 Euro pro Monat kostet. Können die Betroffenen sich das leisten?
Das Angebot eines solchen Tickets finde gut – ich fürchte nur, es ist noch zu teuer. Eine Alternative für Geringverdiener ist es so nicht. Für mich läge da die magische Grenze bei etwa 40 Euro. Das neue Arbeitslosengeld wird nach der Hartz-Reform etwa auf die Höhe der Sozialhilfe abgesenkt – da sind höhere Ausgaben auch kaum leistbar.
Dieses Alternativ-Ticket gilt erst ab 10 Uhr morgens. Was passiert, wenn ein Arbeitsloser früher zum Amt oder zu einem Vorstellungsgespräch will?
Von Arbeitslosen wird mehr denn je hohe Mobilität und Engagement bei der Arbeitssuche erwartet. Da hilft in der Regel ein Ticket ab 10 Uhr nicht sehr viel.
Am 17. Dezember soll im Aufsichtsrat des Verkehrsverbundes die endgültige Entscheidung über die neue Tarifstruktur fallen. Welche Einflussmöglichkeiten sehen Sie, als Koalitionspartner Senator Strieder noch umzustimmen?
Ich hätte es schon gut gefunden, wenn wir vor einer Veröffentlichung im Senat über mögliche neue Tarifstrukturen hätten diskutieren können. Dem Kollegen Strieder war das wohl nicht so wichtig. Zwar entscheidet der Senat nicht über die Tarife, aber natürlich ist jedes Senatsmitglied politisch damit befasst. Deshalb ist es sinnvoll, sich gemeinsam eine Meinung zu bilden.
Warum hat der Senat die Zuschüsse für die Sozialkarte ab April 2004 gestrichen?
Staatlich subventionierte Monatskarten für Sozialhilfeempfänger gibt es leider fast nur in Berlin. Deshalb standen wir unter dem Druck, angesichts des Sparzwangs diese Zuschüsse zu streichen. Ein Mobilitätsanspruch bleibt dennoch für Sozialhilfeberechtigte erhalten. Ich wäre froh gewesen, wenn wir mit den Verkehrsbetrieben zu einer günstigeren Lösung gekommen wären.INTERVIEW: RICHARD ROTHER
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